Bilbao oder die Zelebration des Kontrastes

 

Ist das wirklich Bilbao? Wir haben den Designerflughafen von Calatravas Würden hinter uns gelassen.

 

 

Eingebettet in ein liebliches Hochtal, eine weisse Taube symbolisierend, empfängt er die Gäste aus nah und fern. Die Fahrt durch die sattgrüne voralpig anmutende Landschaft ist kurz. Ein Tunnel, kaum 2 Minuten. Man fährt ins Licht. Und jetzt muss sie kommen.

 

Die stolze Baskin.

 

In meinem Hirn rattern die Zahlen: 360.000 Einwohner. Greater Aerea 800‘000.

 

 

 

Wir verlassen die Röhre. Der Blick wird frei, aber alles andere als Cityfeeling macht sich breit. Eher habe ich das Gefühl, ich sei im Kanton Aargau, in Baden, gelandet. Ein Tal, ein Fluss (der keiner ist), ein Städtchen scheint es mir, das man nicht recht wahrnimmt, denn mitten drin steht „ES“. Selbstbewusst und wild wühlt es sein Titaniumblech unmittelbar neben der Tunnelbrücke auf: Das GUGGENHEIM. Der zugezogene Star, der rettende Katalysator, das Mekka der Kunst und Architekturfreaks

 

Nirgendwo passt dieses Gebäude wohl schlechter hin als hier, aber dies sage nur ich und andere Unwissende.

 

Die erleuchteten Kulturgänger mögen die Meinung vertreten, gerade dieses Eingeklemmtsein zwischen der zyklamroten Hängebrücke und der gegenufrigen Hügelkette erzeuge Spannung; ein in der "mundo de los artes" hochgeschätztes Szenario, und tatsächlich erfasst einem das Gefühl der Divergenzen in dieser Stadt sofort und auf Schritt und Tritt.

 

Nun denn: Auf zu einem ersten Augenschein, einer Bootsfahrt Richtung Golf von Biskaya. Schicke Quai-Architektur hatte ich da erwartet. An den Gestaden des sich ins Landesinnere hineinschlängelnden Meeresarmes, dem Rio del Nerviòn. Hippe Apartments mit Blick auf das Wasser hatte meine Fantasie angedacht; doch in Real präsentiert sich trostlose Historie von zerfallener Industrie. Verlassene alte Fabrikgebäude sterben hier ihren langsamen Tod; die durchjagten Krisen haben nur leere Mauern und blättrigen Rost zurückgelassen. 12 Kilometer zumindest gefühltes Desperado.

 

Mit einem „ Das habe ich mir anders vorgestellt“,

 

kehre ich gerne zum Ausgangspunkt zurück. Vorbei an der Guggenheim-Diva, und ich entnehme dem scheppernden Lautsprecherkommentar, dass das Gebäude eine Hommage an die Seefahrt und den Walfang in früheren Zeiten sein möchte. Ach ja, nun erkenne ich die sich aufplusternden Segel, die sich mit der Form eines Wals verquicken - ein "Walschiff" sozusagen.

 

Gerade just in diesem Moment schickt die Sonne eine Strahlenportion in die eigenwillige Metallverwirrung. Es schillert prächtig, silbern, edel wie Fischschuppen. Man spürt Jubel in sich.

 

Gleich gegenüber dem Museumsplatz befindet sich unser Hotel, das Grandhotel Domine.

 

 

Es lebt von seiner spitzenmässigen Lage, dem feuerfarbenen Avantgardesofa in der Lobby und der hitverdächtigen Dachterrasse mit Traumblick

 

 

auf das Objekt der Begierde, und damit meine ich nicht das erigierte Steinkunstwerk, welches die nicht wenigen Zimmer mit Ausrichtung zum Innenhof als einzige "Aussicht" zugeteilt erhalten, aber zumindest können die dadurch provozierten Witze und Bemerkungen die Düsterness der Schlafgemächer, die sich mit sehr bescheidenen Lumenwerten präsentieren, etwas aufhellen.

 

Der zweite Tag beginnt auf der Rooftopterrasse mit einem doppelten Espresso und einem variantenreichen Frühstücksbuffet

 

samt Häppchen von würzigem Serrano.

 

Der Blick schweift über den vorgelagerten Platz, wo sich die museale Primaballerina mit Platinglanz in Position wirft. Der frischblaue Himmel gestaltet das heitere Bühnenbild verziert mit flockigen Wattebauschwolken. Es gibt kein Halten mehr; wir Wissbegierigen treffen uns vor "Puppy" dem übergrossen Blumen-Hunde-Maskottchen. Keiner, der nicht Schmunzeln müsste, sein buntes Blütenfell betrachtend.

 

Tausende von Klicks, jeden Tag, sind sein Futter.

 

 

 

 

Dann der ersehnte Eintritt in den Tempel der Muse. Senfgelber Kalkboden.

 

Wenn man sich jetzt noch an irgend etwas festhalten könnte: An ihm.

 

Entfesselte Konstruktionskunst betört das Auge. Die pure Lust an Form und Gestaltung. Irgendwie scheinen alle Wände des endlos hohen Atriums gewellt, gebogen, von lanzettenförmigem Glas durchschnitten, den Blick auf aufstrebendendes Stahlgerippe freigebend. Fast möchte man sagen: Die perfekte Konzeptlosigkeit!“ Jedoch bedenkend, dass das Gebäude letztendlich ein Schiff in voller Fahrt darstellt……das ist es…..

 

Der "MOVE!“ Hier regiert der MOVE.

 

Er hat keine statische Ruhe und keine geraden Wände. Er ist rund, fliessend, zerrissen, als wäre das „das Hier und Jetzt“ schon wieder zerflossen. Uns noch hinterherrufend: „Seit agil! Erschaffet! Folgt mir in die Zukunft.

 

Be in (E)MOTION!!“

 

Als sei es das Credo dieser Stadt, welche die Chance gepackt hat, vielleicht ihre einzige. Noch, Bilbao, hast Du es aber nicht geschafft. Auch wenn sich die Architekturikonen wie Norman Foster, Stark und Co mittlerweile um die besten Plätze und Projekte streiten. Du, Baskin, bist auf dem Weg. Noch lange werden neben Prestigebauten und Ruinen aus der jüngeren Geschichte Mauer an Mauer stehen.

 

Aber Du, (er)trägst diese Kontraste in ganz selbstverständlichem Stolz

 

und das Feuer in Dir nach Selbstverwirklichung wird nie erlöschen.

Ob Altstadtcharme oder Gourmettempel im Exanoble. Die Nächte sind lang....und Ihr glaubt es mir sowieso nicht (denn Ihr kennt meine Leidenschaft für Lippsticks). Diesen kann man essen. Tomate-Sardine. Er kommt als erste Vorspeise. Origineller geht nicht.

 

 

 

 

Franziska Stadlin Mai 2016

 

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