
Fast hätte ich das Mail übersehen. Sinngemäss: „Gerne überreichen wir Ihnen den Nostalgiepass im Vorfeld ihrer Übernachtung.“
Das ist ja noch besser als ich gedacht hatte. Schifffahrten auf dem türkisfarbenen See sind inbegriffen. Ebenfalls alle Minireisen mit der kleinen Standseilbahn aus dem Jahre 1879 vom Landesteg hoch hinauf zur Nächtigungs-Ikone.

Endlich geht mein lang gehegter Wunsch in Erfüllung. Es kann losgehen. Das Wetter war turbulent in den Tagen vor Ostern. Trotzdem, ich bin Optimistin für mein Ziel.
Das schmale Strässchen windet sich hangwärts durch den Frühlingswald.
Die Buchen tragen hauchzarte Blätterschleier.

Die Zufahrt führt: Höher…. höher. Die Aussicht. Braucht es da Worte?

Der Schnee der letzten 48 Stunden hat sich an die Felsen der Panoramaberge geklebt.
Vom Morgen früh bis zum Abend wird mein Blick nicht müde werden ob dieser Szenerie.

Jetzt eine Schranke: Einfahrt nur für Hotelgäste. Noch schmäler wird das Weglein. Hoffentlich kommt kein Auto entgegen. Durch die Stämme blitzen schon die roten Balken des Hotels. Eine Turmspitze. Dann das Rauschen. Eine letzte Kurve. MEIN Moment: Eskortiert von Jungferngrün stürzt das perlweisse Wasser in 14 Kaskaden seiner Bestimmung entgegen.

Willkommen im Hotel Giessbach.

Ich hatte schon immer ein Faible für Belle Epoque. Herzklopfen. Das Entrée befindet sich wie zu alten Zeiten des Grand Hotels zur grossen Gartenterrasse hingewandt.

Die Türe klemmt un peu; aber….nach wenigen Schritten tauche ich ein in dieses historische Lebensgefühl. Eine andere Welt.

Wie sanft legt sich die Atmosphäre der sorgsam restaurierten Räume auf die Seele in dieser tumulten Gegenwart.

Der Pianist lässt die Klänge kullern; kombiniert die kleine Wehmut an vergangene Zeiten mit hoffnungsvoller Leichtigkeit. Sein Song: Louis Armstrong: „What a wonderful world“.

Seit 1820 lockt der Giessbach, dieses Naturwunder, die Menschen an. Auch die damalige Haute Volée vernahm von diesem Kraftort und seiner heilenden Wirkung. Es entstand ein Hotspot des Sehen und gesehen Werdens.

Prachtsbauten entstanden an dieser exquisiten Lage. Rauschende Bälle unter dem Glitzer von Kristalleuchtern, leidenschaftliche Affairen, Intrigen, Societyklatsch und dunkle Machenschaften. Der ganze Strauss des Lebens aus den Vorkriegszeiten. Schwierige Zeiten brachen an. Der Tourismus veränderte sich. „Alte Kästen“ waren in der Neuzeit nicht mehr en vogue. Das wundervolle Gebäude und Anwesen wurde schliesslich mit einer landesweiten Aktion von Franz Weber vor dem Verfall gerettet. Die „Stiftung Giessbach dem Schweizervolk“ betreibt heute die Anlage. Die Tochter des Initiators, Vera Weber, führt das Hotel als Directrice. Ihre stilvolle Handschrift ist bis in die kleinsten Details spürbar.

Inzwischen habe ich „la Chute d’ eaux“erreicht. Man kann seiner Falllinie entlang hochsteigen. Das permanente Fliessen, das Stürzen nehmen mich gefangen.

Stundenlang könnte ich in diesen infiniten Schwall schauen. Wie die Steine den weissen Vorhang in elegante Streifen teilen.

Die Gischt aufstiebt. Das Nass von Kaskade zu Kaskade fällt.

Sich dazwischen kleine Pools darbieten, die den entfesselten Tropfen einige Sekunden Ruhe gönnen,

bevor es gurgelnd und ungestüm weitergeht … weiter … weiter.
So mancher Blick hat sich schon in diesem unentwegten Strömen verloren. Und es ist, als würde die Cascade alles mitnehmen wollen, was die Gedanken pesante macht. Höre mein Flüstern: „Lass los! Wir gehen auf eine fröhliche, unbeschwerte Reise. Allons y!“ Der Ozean wartet.“

Es ist schwierig, sich von dieser Magie loszureissen aber die Genüsse der Kulinarik warten im Panoramarestaurant „La Cascade“. Wohlumsorgt vom Personal begleitet sorgsame Küche den Gast in die Dämmerung. Aber Hauptperson bleibt der Wasserfall.

Zur blauen Stunde erstrahlen die Bäche noch heller. Die dezent eingesetzten Lampen verwandeln das fallende Wasser in Kordeln aus schimmernder Seide.

Am andern Morgen bringt sich der andere Protagonist dieses divinen Platzes ins Spiel: Der Brienzersee.

Das Schattenspiel der Wolken tanzt auf seiner karibischen Oberfläche. Das Gletscherwasser der Aare beglückt ihn mit besonderen Sedimentspartikeln, die in der Refexion der Sonne das Wasser veredeln. Jade und Smaragd.

Es ist Zeit für eine Contemplatio im Turm

auf dem Balkon des Chambre „Davinet“ (benannt nach dem Architekt des Hauses).
Ich möchte mich gerade hinsetzen, da entdecke ich diesen karierten Schal auf dem Bistrotisch.

Der war vorher noch nicht da. Ich nehme trotzdem Platz. Ich spüre, ich bin nicht allein.„Hallo ist da jemand?“ Als Antwort steigt das Aroma von Pfeifenrauch auf. Ich wage mich: „Good morning, sind Sie es, Holmes?“ Nach einer guten Weile Stille: „Yes, Madame, endlich werde ich gefunden.“ „Aber Holmes, Sie sind doch im Wasserfall umgekommen!!“ „MyLady: Da es mich nie gegeben hat, bin ich auch nie gestorben. Meinem Erfinder Sir Arthur Conan Doyle wurde ich zu anstrengend und er wollte mich theatralisch entsorgen. Im Buch „The Final Problem“ passierten wir dieses Haus und es gefiel mir sehr gut hier. Der Todeskampf mit meinem Kontrahenden fand aber nicht hier statt, sondern am Reichenbach bei Meiringen. Ich konnte mich jedoch retten und floh ins Hotel Giessbach, wo ich als Buchhalter anheuerte. Später belebte mein Mastermind Doyle mich ja wieder (ich hätte meinen Tod nur vorgetäuscht) und verdiente mit 56 weiteren Kurzgeschichten sehr angenehmes Geld. Nach dem Tod des Erfolgsautors ging auch ich in Rente. Jetzt bin ich hier als forensischer Hausgeist tätig. Leider nur Kleinkriminalität vor Ort im Moment. Langweilig!

Ich räuspere mich vorsichtig: „Hmmmm Holmes, interessant. Stimmt das alles auch wirklich, was Sie mir da erzählen?“ „Muss es das?“ In diesem Augenblick ertönt vom Wasserfall her ein laaaaangezogener fürchterlicher Schrei. Holmes letzte Worte an mich: „Excuse me, Madame, es gibt Arbeit….das tönt endlich nach einem knackigen Fall…. Ich muss Sie sofort verlassen“. Der Pfeiffenrauch verfliegt nach und nach.

Am Abend spiegeln sich die Leuchten des Cascade Restaurants fast surreal mit der Ansicht des Wasserfalls. Er nimmt alles mit. Geschichten, Sagen, Erfundenes und Gefühltes und bewahrt deren Geheimnisse.
Giessbach ein magischer Ort für Inspiration.
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urs (Sonntag, 20 April 2025 18:59)
wunderbar wie du deinen gedanken raum gibst und du dich vom tollen ambiente anstecken und verführen lässt. MERCI!
Roland H. (Sonntag, 20 April 2025 19:21)
Hervorragend, geniesst es!
Beste Grüsse
Roland
Ueli (Sonntag, 20 April 2025 19:22)
Franziska, Deine Fotos, Deine Texte: echte Türöffner zum Giessbach - und alles sozusagen um die Ecke, ennet dem Brünig! Herzlichen Dank!
Annalies (Sonntag, 20 April 2025 19:28)
Ich war vor etwas mehr als 7 Jahren dort und habe den Tag und die Nacht sehr genossen. Das Essen, das Personal im Hotel und bei der Standseiöbahn war so freundlich und hilfsbereit.
Ich habe es mit dem kleinen Enkel sehr genossen und fühlte mich willkommen.
Frohe Osterwünsche und liebe Grüsse.
Werner Weber (Sonntag, 20 April 2025 19:30)
Seit drei Wochen erhole ich mich aufgrund eines Fehltritts im Kurhotel Sonnmatt Luzern. Der Giessbachfall fehlt hier zwar, aber der Vierwaldstaettersee und auch die Alpen glitzern um die Wette.
Pierre & Yvonne (Sonntag, 20 April 2025 20:35)
Formidable Texte ergänzt mit super Fotos erwecken vergangene Erinnerung an unsere Tage und Nächte, die wir in Giessbach verbringen durften.
Danke Franziska�
Georges (Sonntag, 20 April 2025 21:34)
Es ist wirklich einzigartig in diesem Hotel zu sein und die 'fliessende' Umgebung zu hören. Toll beschrieben.
Noeli (Sonntag, 20 April 2025 22:38)
Sie haben mich mit Ihrer Prosa nach Giessbach versetzt. Jetzt muss ich es selbst erleben, danke für die Reise-Inspiration!
Barbara Stiemerling (Montag, 21 April 2025 01:03)
Toller Reisebericht ! Einer meiner besten Freunde arbeitet in diesem Hotel.
Franziska, danke dir für diese Reise-Inspiration und
Zeit, dass ich als ehemalige Hôtelière das Hotel Giessbach selber mal besuche.
DON PEDRO (Montag, 21 April 2025 06:34)
Einfach echt , wunderbar beschrieben
Tobias Blumer (Montag, 21 April 2025 17:06)
Danke für den inspirierenden und mitreissenden Reisebericht... Liebe Grüsse auch an Felix und einen angenehmen Abschuss des Osterwochenendes
Albert Müller (Dienstag, 22 April 2025 18:35)
Grossartige Aufnahmen - vor allem der Sturzbach und die Wasserfälle haben mich beeindruckt - und natürlich deine literarischen Holmes-Bezüge
Susanne Huber (Sonntag, 27 April 2025 10:36)
Mega Bilder und spannend - wie immer - dein inspirierender Bericht. Herzlichen Dank Franziska.
Rena de la casa (Dienstag, 29 April 2025 19:49)
Der berühmte Wasserfall und seine Geschichte, verknüpfst du noch kriminalistisch: herrlich!