„Was….in dieser Zeit willst Du dahin?
Wind… kalt… Sturm“. Das waren die häufigsten Kommentare.
Und tatsächlich; ich stehe ganz tüchtig im Sturm und der heisst: Deutscher Bahnstreik. Es gibt täglich eine direkte Zugverbindung von Bremen nach Sylt. Aber läuft die Bahn? Streik ist für den Abend angesagt. Und man weiss, schon im Vorfeld sind jeweils Überraschungen nicht ausgeschlossen.
Auf der Abfahrtstafel ist schon mal eine Verspätung von 10 min. angezeigt. No surprize. Dann 20 Minuten. Zwecks Erwärmung hole ich einen Cappuccino im Pappbecher. Aber immerhin: Der Zug scheint zu fahren. Heureka!
Erwartungsfroh begebe mich auf das Perron. Die Kälte kriecht über den kleinen Zeh langsam hoch. Vor dem Mund nebelt mein Atem.
Der Lausprecher scheppert:
„Verehrte Fahrgäste: Der ICE nach Westerland hat 40 Minuten Verspätung. Grund: Reparatur einer Weiche. Wir entschuldigen uns“.
Meine Knochen klirren. Der Kaffee ist ausgetrunken.
Der Lausprecher scheppert:
„Verehrte Fahrgäste: Der ICE nach Westerland hat 50 Minuten Verspätung. Grund: Verspätung eines vorausfahrenden Zuges. Wir entschuldigen uns“.
Einige Mitreisende witzeln. Sarkasmus flutet den Bahnsteig. Und ich lerne: Das ist nicht Streikvorgeplänkel; das ist der Normalfall.
Die Anzeigetafel rattert und blättert meinen Zug auf. Es wurden ganz nonchalant noch einmal 10 Minutos Verspätung draufgegeben. Ohne Entschuldigung.
Ich halte mir den Handschuh vor das Gesicht. Die Nase ist zum Eiszinken mutiert.
Dann ohhhh…. Wunder. ER fährt ein.
Ende gut alles gut. Ich nehme Platz. Es geht los. Nach einer Viertelstunde halten wir an.
Durchsage:
„Verehrte Fahrgäste: Wir müssen hier eine Weile warten. Grund: Gleissperrung wegen Hochwasser. Wir entschuldigen uns“.
Durchsage kurz vor Hamburg:
„Verehrte Fahrgäste: Wir können vorerst nicht weiterfahren. Es wurde ein Notruf abgesetzt. Wir entschuldigen uns“.
Eine gute halbe Stunde lang studiere ich den Verkehr der Hansestadt Hamburg.
Durchsage vor Itzehohe:
„Verehrte Fahrgäste: Leider erfährt unserer Transort weitere Verspätung. Grund: Ein technisches Problem. Wir entschuldigen uns“.
Durchsage nach 5 Stunden Reise:
„Verehrte Fahrgäste; eine erfreuliche Nachricht: in Wagen 10 stehen kostenlose Wasserflaschen für Sie bereit. Wir entschuldigen uns, dass kein Getränkeservice oder Speisewagen - wie im Fahrplan angegeben - auf diesem Zug angeboten wird.“
Durchsage vor Husum:
„Verehrte Fahrgäste. Für Reisende nach Westerland Sylt endet die Fahrt ausser Plan in Niebüll.
Grund: Entgegenkommende Züge auf dem Damm. Nehmen Sie den nachfolgenden ICE. Wir entschuldigen uns“.
Durchsage in Niebüll:
„Verehrte Fahrgäste. Der ICE nach Westerland (der Zug, den ich jetzt nehmen sollte) erfährt 50 Minuten Verspätung. Grund: Verspätung des vorausfahrenden Zuges (der Zug in dem ich war).
Wir entschuldigen uns“.
Gelächter bricht aus. Und dann kehrt verdutzte Stille ein. Es rattert: Der kleine Syltexpress, der die Insel mit dem Festland verbindet fährt ein. Wir alle atmen erleichtert durch und stürmen den Shuttle, der uns über den Damm fahren wird.
Die Sonne geht unter. Links und rechts nur Wasser. Das „Syltaway-Feeling“ ergreift mich.
Es dunkelt ein. Im Hotel“ Stadt Hamburg“ erwartet man mich. Es ist eine der ikonischen Herbergen der Insel. 150 Jahre! In der Gästezeitung beschreibt man sich selbst als ein Traditions-Haus mit „Down Town Abby Chic“.
Ich trete durch die berühmte blaue Tür. Ich spüre sofort. Hier kann meine Seele baumeln.
Restaurant, Bar und Bistro sind neu renoviert. Die Samtbezüge der Sessel glänzen…
die Zimmer und Gänge hingegen, erzählen von längst vergangenen Zeiten. Irgendwie scheinen die beiden Stile unvereinbar zu sein. Trotzdem die Atmosphäre ist stimmig, sehr gemütlich.
Anderntags will ich die Insel entdecken. Mein erster Eindruck: Keine Leute.
Der zweite: Die Einheimischen scheinen gerade diesen Umstand zu geniessen. Die Verkäuferin für Bademoden bringt es auf den Punkt. „Herrlich… Sylt gehört jetzt uns… keine Schicki-Mickis!“
Uwe, der Busfahrer auf der Inselrundfahrt, witzelt: „Wisst Ihr, was ein Sylt-Käfer ist? Antwort: Ein Porsche. Die alle ruhen aktuell im Winterschlaf. Jetzt fahren wir übrigens durch Kampen. Das ist die Schickeria-Meile.
Das Motto des Ortes:
„Was LA COSTE die Welt, spielt keine ROLEX!“ Die edle Klientschaft kann hier nach der Methode „CHIC-CHECK-SCHOCK“ alle pekuniären Hemmungen fallen lassen.
Hot Spot der Insulaner (Einheimischen) scheint derweil das „Café Wien“ in Westerland zu sein. : Hier triff man sich zum Schwatz.
Udo würde
„Aber bitte mit Sahne“, trällern. Ich drifte in einen heissen Flirt mit der Bananentorte und den Eischneerosen ab. Nur die Monsterstücke, welche die Kellner an mir vorbeibalancieren, bringen mich zur Vernunft. Ich bestelle den Windbeutel mit Kirschenkompott. Aber oha lätz. Es heisst hier nicht moderat (ich erwarte auch eine solche Portion) „Windbeutel“, sondern „friesischer Sturmsack“.
Auf der Insel gibt es keine halben Sachen. Bei der Namenstaufe der Spezialität muss ein Orkan gewütet haben. Die rahmtastischen Chriesikalorien peitschen mir nur so um die Ohren.
Zeit für Natur und Bewegung. Ich habe das Glück, dass es geschneit hat. Zuckerdünen und gefrorenes Wattenmeer entzücken mein Auge; am Weststrand rollen die ……
Durchsage am Strand:
„Sehr geehrte Leser:innen
Hier endet der Text. Die DBahn steht ja auch unverhofft still.
Es bleiben Bilder vom traumhaft ruhigen Wintersylt ganz ohne Sansibar.
Grund: Die herrliche Jodluft hat mich entschleunigt, gereinigt, entleert.
Endlose Weite.
Infinite Gedanken.
Ich entschuldige mich keinesfalls für den Textausfall und geniesse den Blick ins beyond….
P.S.
Der ICE fährt (wouww) planmässig zurück nach Hamburg. Mein Wagen mit den reservierten Plätzen ist und bleibt abgeschlossen. Später wird im ganzen Zug in der 1. Klasse die Heizung abgeschaltet.
Grund: Nicht klar.
Entschuldigung: Keine.
Mein Zustand: Kalt.
Dein Erlebnis: Deutsche Bahn.
Mein Glück: Wintersylt
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Ren de la casa (Mittwoch, 17 Januar 2024 18:24)
DB Geschichten sind zum Lesen so witzig, doch mittendrin zu stecken…
Deine Bilder sind wie in einem Traum, ich danke dir.
Du kommst entschleunigt heim, was willst du mehr, Francesca?
Vreni (Mittwoch, 17 Januar 2024 18:27)
Das ist ein Erlebnis.... Ich hab die Deutsche Bahn grad verlassen....mit nur einer knappen Stunde Verspätung ....ohne Entschuldigung.
Danke für den lustigen Bericht aus der Kälte.
Georges (Mittwoch, 17 Januar 2024 18:33)
So übel habe ich Deutsche Bahn diese Tage nicht erlebt. Streik, Zugausfall und Verspätung aber auch...
Eindrückliche Bilder. Danke!
Albert Müller (Mittwoch, 17 Januar 2024 20:29)
SYLT ist eine Reise "mit Verspätungen" wert. Mit Begeisterung schaue ich deine wunderbaren Aufnahmen immer wieder an und kann mir nun die Reise dorthin "ersparen"...
Don Pedro (Donnerstag, 18 Januar 2024 07:49)
Sylt ist aber wirklich eine Reise wert!! Swiss fliegt mehrmals wöchentlich direkt von ZRH. Deine Schilderungen sind super und haben uns an den Familienausflug vom vergangenen Juni erinnert. Dorfkrug Kampen und die Sansibar wären nachzutragen wie das Severins SPA und Resort! Aufs Wattenmeer geht man mit dem Meeresbiologen Werner Mansen - ein Sylter Urgestein!
Annalies (Donnerstag, 18 Januar 2024 09:03)
Wirklich die beste Werbung für die Deusche Bahn. Ich wünschte mir einen warmen Platz für dich und hoffe,dass du gesund geblieben bist.
Trotzdem hoffe ich,es bleiben die schönen Momente in Erinnerung.
Herzliche Grüsse.
Wolfgang Bösenberg (Donnerstag, 18 Januar 2024 17:53)
Dein wunderbar schöner Schreibstil aus Ironie und Genuss beschreibt die deutsche Bahn und Sylt treffsicher. Außerhalb der Saison ist Sylt finde ich Sylt viel schöner. Eben so wie auf den stimmungsvollen Bildern. Danke für die Impressionen.
Dorte (Freitag, 19 Januar 2024 22:08)
Schön konntest du das Sylt Klima geniessen und dich von den Strapazen der deutschen Bahn erholen �
Barbara Stiemerling (Donnerstag, 25 Januar 2024 12:57)
Super witzig beschrieben! Peinlich die Deutsche Bahn ! Bin wirklich froh als gebürtige Deutsche in der kleinen Schweiz zu leben, wo die SBB meistens auf die Sekunde pünktlich
fährt. Sylt steht auf meiner Wunschliste ! Danke für die wertvollen Tipps! Heute ein Gruss aus deiner Heimatstadt „Zug“… deine Geschichten erhellen das Gemüt