Moin

„Auweia… wie blööd… ich habe das Wünschen vergessen. Nachdem ich mich bei klirrender Kälte in der Touristenschlange zu den vier illustren Musikanten vorgeschlottert habe, um das obligate Foto zu schiessen, hab ich das erst jetzt (zu spät gemerkt). Dabei hatte ich es doch richtig gemacht. Immer mit zwei Händen den Esel anfassen. Wer es nur mit einer tut, der/die ist sich des Spotts der stolzen Bremer gewiss: „Mit nur einer Hand:… gibt der eine Esel dem andern die Hand!“ 

Diese Klippe habe ich nun erfolgreich umschifft und die Segel meiner „Kogge“ elegant Richtung freie Hansestadt Bremen gesetzt. Auf „Liberté“ legt man hier Wert. Unvermeidlich lenkt sich mein Blick auf den Schütting, den Inbegriff der Bremer Hanse. Und das sei übrigens gar kein Zufall, dass der Prachtsbau einfach repräsentabler sei, als das neben dem Dom gelegene Rathaus gegenüber. 

Dieses wurde zwar diverse Male von der Bürgerschaft „nachgerüstet“ und ist Teil des UNESCO WELTERBE-Ensembles am Markt, aber es ist klar: Die  Seehandel treibenden Kaufleute hatten damals das Sagen. Schon früh verbündeten sich die Bremer mit anderen bedeutenden Städten, um den Warenhandel kartellmässig zu organisieren. Doch das kleine Bremen outete sich als unbequemer Qualitionspartner und umging gerne und des öfteren Boykotte, ganz zum Missfallen der anderen Partner. Als Konsequenz wurde die Bremer Hanse mehrere Male aus dem Bündnis hinausgeworfen. Durch Schlitzohrigkeit und sogar Anheuerung von Piraten, 

welche andere Hanse-Schiffe überfielen, kam man irgendwie doch nie längerfristig ohne Bremen aus und nahm das „rebellische Kind“ jeweils wieder auf.  Die Animositäten blieben bis in die Gegenwart. Schnell lerne ich, dass ich hier mit „Moin“ zu grüssen

hätte und keinesfalls mit „Moin, Moin“, das hamburgisch sei und … überhaupt: „Hamburg? Watt is en das?“

Auf Schritt und Tritt erfahre ich, das im kleinsten Bundesland die Devise: „I do it my way“ gilt. Die Leute geben sich weltoffen und gesprächsfreudig und entsprechen so gar nicht dem norddeutschen spröden Image. Es gibt eine eigene Polizei und als die Weser damals nicht mehr genug Wasser führte (ganz im Gegenteil zur aktuellen Lage), kaufte man ganz kreativ im Norden einen an der Nordsee gelegenen Hafen. Daraus entwickelte sich Bremerhaven, und dies führte zur einmaligen Situation, dass das Bundesland Bremen aus zwei von einander - durch Niedersachsen -  getrennten Städten besteht, ergo ein Zweistädte-Bundesland ist. Klarerweise steht ein Ausflug ins Umland und nach Bremerhaven auf meiner wish-list. Aber wie es so ist beim Reisen. Ein nerviges Gemisch aus Gruselwetter, Eiswind, Hochwasser, Bauernaufstand und Bahnstreik unterbindet meine Unternehmungslust extra muros. So bleibt es bei der Erkundung der schmucken Innenstadt, die auch für mehrere Tage Vielfältiges zu bieten hat.

Ich wohne an der Böttcherstrasse, ohne vorerst zu wissen, das diese schon für sich selber eine Sehenswürdigkeit ist. Eigentlich ist sie eine Gasse zwischen einem Komplex aus Klinkerstein-Gebäuden. 

Der goldene Lichtbringer lockt mich magisch in dieses Geviert. Als Initiator dieser Gebäulichkeiten

zeichnet übrigens Ludwig Roselius, ein Visionär, Kunstförderer und Erfinder des entkoffeinierten Kaffees (1907). Aus meiner Jugend kenne ich den Namen und habe mich immer wieder gefragt, über welchen Hag man springen müsse? Nun verstehe ich: „Kaffee HAG“ heisst simpel: 

Kaffee Handels-Aktien-Gesellschaft, 

womit ich bei der schwarzen Bohne angekommen bin. 

Bremen sieht sich als Kaffeehauptstadt der Welt. Das würde Hamburg natürlich anders kommentieren…ich lasse es aus Courtoisie einer einfachen Besucherin so stehen. Zelebriert wird le Café zumindest an jeder Ecke. Barrista Seminare… Röstereiführungen noch und nöcher (nur jetzt nicht…man ist noch im jungfräulichen Neujahrs-Dornröschenschlaf, was das Touristische anbetrifft) 

und so bleibt der Selbstversuch. „Kaffeesieren“ lautet das Bremer Wort für „Käffele“. Im „Café Tölke“ ergattere ich das letzte Bistrotischchen. 

Das Stübchen ist pumpenvoll; das Gstungg zaubert herrlichstes Ambiente und der Cappuccino findet in Form der Hauspezialität, einer flambierten Weinschaumtorte, seine edle Begleitung.

Süss gestärkt erkunde ich das herzige Schnoorviertel. Die putzigen Häuschen erinnern an eine Zwergenstadt. 

Heute ist ein kleines Miniwöhniglein, grosser Geldbeutel vorausgesetzt, hipp…. früher war dies das Quartier der Seildreher. Schnoor=Schnur/Seil. 

Da wurde neben Tauen auch viel Seemannsgarn produziert, das die Sicht der Bremer auf sich selber bis in die Gegenwart zuweilen etwas wohlgefällig ausschmückt. So schwärmt mein Stadtführer vollmundig vom einzigartigen Weinlager, das unter dem Marktplatz schlummere. 

Der Ratskeller: 5000 qm Flaschen und Fässer deutscher Weine. Der grösste Handelsplatz weltweit für germanische Tropfen. Ich bin schwer beeindruckt und buche gleich die Führung „Keller kieken“. 


In Realo bleibt das Gezeigte leider - abgesehen vom Gitter der Schatzkammer - eher bescheiden. Viele leere Gestelle…. und ja… es ist zu erfahren, dass die Bremer den hier gehorteten Wein vorwiegend selber geniessen und gar nicht exportieren. Wohl ausgetrunken … die freie Stadt?

Vielleicht doch nicht. Hunger meldet sich und ich folge Heinrich Heine in das Gewölbe des Restaurants Ratskeller nebenan. 

Das Angebot präsentiert sich reichlich und die Portionen auch. Einmal Bremer Knipp (eine Art scharf angebratenes Hackfleisch) mit Apfelmus muss sein. Unerwartet schmackhaft! 

Gleich um die Ecke befindet sich das Konzerthaus der Stadt: Die Glocke.

Ohhhh lala… was wird da heute Abend gegeben? Die Münchner Philharmoniker. Dazu steht: „Blechschaden“. Hmmm…. das tönt nach moderner Blasmusik. Meine Skepsis klettert locker auf die Höhe der Domtürme. Moderne Klassik wär nicht meins. 

Gut, wer nichts wagt, der nichts gewinnt. Es war eines der unterhaltsamsten Konzerte eines Klassikensembles, das ich je erlebt habe. Der Dirigent Bob Ross, Hornbläser, hat vor 40 Jahren diese Band  (Blechschaden) der Philharmoniker gegründet. Schon zu Beginn reisst Star Trek mich vom Stuhl. Im Saal brodelt es. Der kleine Schotte dirigiert nicht nur… er ist Entertainer… Moderator…Sprücheklopfer… Autor. 

Wir biegen uns vor Lachen, klatschen, klopfen, summen. In der Pause kaufe ich sein Buch…Anekdoten aus seinem Dirigentenleben. Nach X Zugaben, wo man sich bei Y.M.C.A. fast in die Arme fällt… trete ich hinaus in die Nacht. Die Glückshormone tanzen. 

Die Gebäude am Markt leuchten, angestrahlt von magischen Projektionen. Ach ja… da sind ja wieder Esel, Katz, Hund und Hahn. 

Mein Wunsch:


Mir und Euch allen: 

Ein buntes

fröhliches

unbeschwertes

neues Jahr 2024

und Frieden für alle.

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Kommentare: 9
  • #1

    Rena de la casa (Donnerstag, 11 Januar 2024 19:30)

    Dein kunterbuntes Programm samt bunt erleuchteten Häusern im unbekannten Bremen kommt leichtfüßig rüber und bringt viel Farbe und Freude ins kalte, graue Zugerland.
    Auch dir wünsche ich ein gutes neues Jahr, bunt, abwechslungsreich, in Bewegung - dazu etliche amüsante, launische und spannende Reiseblogs von dir!
    Gracias, cara.

  • #2

    Veronika (Donnerstag, 11 Januar 2024 22:28)

    Meine Liebe, alleine deine "Reiseberichte" sind schon eine Reise wert. Wie immer lebhaft, grossartig, spannend und einzigartig.... herrrrrrlich!
    Auch wir wünschen Dir und Deiner Familie alles Gute, Gesundheit und viele schöne Reisen. Vor allem Frieden und Ruhe auf der kleinen Welt.
    Sonnige Grüße aus der weiten Ferne.

  • #3

    Barbara Stiemerling (Freitag, 12 Januar 2024 02:19)

    Liebe Franziska, da muss erst eine Zugerin die Hansestadt Bremen erkunden, die ich als gebürtige Deutsche noch immer nicht besucht habe. Du schreibst so plastisch als wäre man selber dabei. Tolle Impressionen, spannende Geschichten und Dank Dir viel Neues dazu gelernt. Das bunte Leuchten der Häuser bringt Farbe in das Grau in grau hier. Weiterhin eine gute Reise! Barbara

  • #4

    Georges (Freitag, 12 Januar 2024 10:18)

    Kunterbunte Häuser und Geschichten!

  • #5

    Albert Müller (Freitag, 12 Januar 2024 12:02)

    Herzlichen Dank für die grandiosen Aufnahmen; auch ich wünsche DIR ein gutes Neues Jahr und freue mich als Bäckerzünfter über die mir bis anhin unbekannte "Weinschaumtorte"...

  • #6

    Michel Planson (Freitag, 12 Januar 2024 14:13)

    Chère Franziska
    Votre partage d'expérience de voyage est une véritable source d'inspiration. Merci de nous permettre de vivre un peu de votre aventure à travers vos mots. Bonnes futures escapades!
    LG Michel

  • #7

    Dorte (Samstag, 13 Januar 2024 22:04)

    Trotz aller Widrigkeiten hast du das Beste daraus gemacht und Bremen in vollen Zügen erlebt und genossen. Mit offenen Augen und Flexibilität kann man überall was erleben � Ich wünsche dir ein 2024 mit vielen weiteren schönen erlebnisreichen Reisen. LG

  • #8

    Susanne H (Sonntag, 14 Januar 2024 18:03)

    Einmal mehr spannend, bunt und Gluschtigmachend dein bunter Bericht. Dir, liebe Francesca, danke ich fürs daran teilhaben. 2024 möge Dir weitere interessante Reisen ermöglichen. Susanne

  • #9

    Vreni (Dienstag, 16 Januar 2024 17:08)

    Das rebellische Kind und der Pirat.....was für ein Foto. Danke für die guten Wünsche fürs 2024, die ich gerne erwidere :-)