S O S

Es hatte Warungen betreffend Eisberge gegeben… von andern Schiffen…. in jener Nacht vom 14. April 1912. Sie, das Juwel und grösste je erbaute Passagierschiff, verfügte über die neuste Kommunikationstechnologie. 

Die Passagiere der ersten Klasse durften den Radiofunk (Marconigram) nutzen, und sie taten dies begeistert. 


„Drahtloser Kuss. Dein Arthur.“ 


Liebesbotschaften und Plauschnachrichten jagten in diesen Stunden über die Wellen zu den Liebsten an Land und zurück. Die beiden Funker an Bord waren ob der Stapel der Versendungswünsche und der Retouren komplett am Limit.

Im Museum erfahre ich, dass dies wohl eines der unglücklichen Kriterien war, die zum Desaster beitrugen. Hatten die Funker die Warnungen aus Überlastung  übersehen (weil angekommen sind sie) bzw. zu spät an die Brücke weitergeleitet? 

Ich bin in Belfast. 


Die Spitzen des architektonischen Highlights der Stadt kratzen sich in das neblige Gewölk. Die Fassade schillert silber-changierend. Ein Eisberg?


Die Erklärungen der Empfangsdame im Foyer muss ich skippen. Belfast-English: Sorry, no chance.

In der  - in geheimnisvollem dunklen Anthrazit gehaltenen  - Halle, navigiert mich die Rolltreppe zur einem grossen Tor:



TITANIC EXPERIENCE


Wie wahr der Titel. Soll ich überhaupt Museum sagen? Es ist ein multimediales Erlebnis durch das ich über diverse Stockwerke geführt werde. Ich bin schon mitten drin. 

Riesige Leinwände tun sich auf. Geschäftigkeit auf den Strassen…Maschinen surren, quitschen….. Stimmen… Dialoge, Filmfetzen. Belfast im

Boom der Industrialisierung. Aus Flachs wurde Leinen. Big Business. Und der grosse Traum… in Amerika Geschäfte zu eröffnen… ein neues Leben zu beginnen. Menschen und Waren kannten nur eine Richtung: „Go West“! 

Aufbruchstimmung… grosse Träume.

Der aufgehende Stern der Schifffahrt war in England beheimatet. Die „White Star Line“ galt als das Mass aller Dinge und die Erwartungen der reichen Kundschaft trieben die Ingenieure zu ambitionierten Plänen. 

Hier in Belfast sollte sie gebaut werden: Die TITANIC. Unter mir poppen auf dem Fussboden die ersten Zeichnungen der Erbauer Harland & Wolff auf. Und nun wird es konkret. Mit einer richtigen Indoor-Gondelbahn durchschwebe ich den im Entstehen befindlichen Schiffsbauch. 

Flammen von Schweissöfen lodern auf… Funkenschlag… schweres Hämmern… Das Stöhnen und Schwitzen der Arbeiter. 

Brachiale Ketten, die den Stahl hieven und senken. 

Ein Mammutprojekt… aber

sie bringen es zu Ende. Die Vision ist Realität geworden. 

Stolz steht die Titanic in der Werft.

Der Launch wird zum Megaevent hochstilisiert. 

 

Trauben von Schaulustigen säumen das Pier. Prominenz und Weltpresse. 

Die Leinen werden gekappt und erhaben gleitet die Königin aller Schiffe in das Belfaster Hafenbecken. 


Die Zuschauer toben… die Presse überschlägt sich vor Meldungen. Reisserische Plakate… Zeitungsausrufer schreien die News in die Strassen.

Noch werden einige Monate ins Land ziehen bis die Jungfernfahrt nach New York beginnt.


Weil die begüterte Klientel nicht in Irland wohnt, wird die Titanic nach Southampton überführt, von wo aus die Reise startet.   

Ich bestaune die nachgebauten Kabinen, Fotos, die Menuekarten der VIP Abteilung, 

setze mich auf das Prommenadedeck und beobachte den Ocean…. wie die Wellen vor dem Bug sich kräuseln. Mein Weg führt über Treppen nach unten…ich tauche ab ins Dunkelblau. 

Morsezeichen leuchten auf…sonore Stimmen… Piepsen… die Titanic als Nachrichten-Hub. 

Briefe die in Queenstown (vor der Atlantiktraverse) noch der Post übergeben wurden. Zeilen voller Optimismus… Begeisterung… an die Zurückgebliebenen. The unknown Farewell.


Morsepunkte zünden auf. 


S. O. S.   S. O. S.   S. O. S. 

Die Hilferufe der Funker an die Zentralen in New York und England und die Schwesternschiffe.


Die Antworten der Schiffe in der Nähe, die nicht nah genug sind. 

Aber die „Catalina“ wird  doch 4 Stunden später viele Menschen aus den zu wenigen Lifebooten retten. 

Die Computeranimation kippt den Bug nach vorne. Wer es jetzt nicht geschafft hat…. ist lost. Schwere Musik. Wassergetöse klatscht an meine Ohren. 

Eine monumentale Wand nimmt mich und meine Emotionen in Empfang. Alle Namen, die das Meer verschlungen hat. Gesichter von Helden, die selbstlos Menschen gerettet haben oder auf einen Platz im Rettungsboot verzichtet hatten. 

Unter mir dreht sich das Todesschiff. 

Kabinenfenster funkeln in bunten Farben. Hinter jeder Scheibe ein Schicksal… a Dream… eine Hoffnung.

Auf bogenförmigen Screens erscheint New York. 

Das nie erreichte Ziel……

Konversationen durchflechten die Aurea… Lachen…. Fröhlichkeit.


Doch plötzlich zerfliessen die Dialoge… verblassen…. entschwinden. Die Lichter löschen… eines nach dem andern.


Still ….sehr still.

Die Fassade des Dampfers wird dunkel…. nur noch die golden bestrahlten Kamine… bis auch sie verglühen.


SCHWARZ. 

Eine hoffnungslose Silhouette.

SCHWARZ.


Ich bin nicht die einzige, die hier ergriffen verweilt.

Still….sehr still.


Irgendeinmal gehe ich weiter., lasse das „in Memoriam“ hinter mir. 

Mythen, Wissenschaft, Spekulationen und Forschung fordern meine Aufmerksamkeit.


Von den Einschätzungen weshalb die Unsinkbare überhaupt untergegangen ist und 1504 Seelen verloren wurden.


Zuwenig Boote, falsche Befüllung der Boote, keine Rettungsübung, Ignoration der Warnungen. Falsche Einschätzung der Klimafaktoren (im April waren Eisberge auf dieser Strecke keine Seltenheit), keine Feldstecher für die Wachmatrosen und eine brisante, wenig bekannte Behauptung eines irischen Journalisten:

Bereits bei der Abfahrt und danach habe es im Kohlekeller des Schiffes mehrere Tage lang gebrannt, was den Stahl brüchig machte (genau dort findet sich die Aufrissstelle. Der Journalist hat neues Bildmaterial analysiert).

Vom Wettrennen der Franzosen und Amerikaner, um den Fund des Fracks 1985. 

Ballard (USA) gewann.

Am 1. September 1985 sahen sie den Heizkessel der Titanic. Die Suche hatte ein Ende.

Zum Finale wird nochmals das Herz berührt. Unvermeidlich stehen Leonardo und Kate mit flatternden Haaren am Bug.


Die Filmmusik erfüllt Raum und Seele. 


„Life will go on“



Der Link führt zu seltenen Filmaufnahmen der Titanic

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Kommentare: 5
  • #1

    Werner Weber (Donnerstag, 03 August 2023 07:36)

    Liebe Franziska
    Das ist wohl die "verrückteste Story" welche ich von dir gelesen, ja verschlungen habe. Ich habe schon viel über den Untergang der Titanic 1912 gelesen und Bilder gesehen. "Wie die Musikkapelle beim Untergang noch näher bei Gott zu dir spielen konnte?" Für mich einfach heute noch surreal. Es gab seit dieser Zeit viele Schiffskatastophen z.B. die Andrea Doria. Aber kein Unglück hat uns so geprägt.
    Danke und Gratulation zu dieser Geschichte Franziska.

  • #2

    Dorte (Donnerstag, 03 August 2023 19:40)

    Habe soeben unser Besuch dort vor einem Jahr wieder erlebt. Das Museum ist gut und eindrücklich gemacht. Besonders angetan hat uns aber die Arbeitsbedingungen der Bauarbeiter, die auf schwerstem und engstem Raum arbeiten mussten. Es muss für diese sehr traurig gewesen sein zu erleben, dass sich ihre ganze Anstrengungen nicht gelohnt haben!

  • #3

    Albert Müller (Freitag, 04 August 2023 11:59)

    Was heisst: "Falsche Befüllung der Boote" ? - Wunderbare Titanic-Geschichte!

  • #4

    Oswald Weber (Freitag, 04 August 2023 22:06)

    Die Beschreibung des Museums und der dahinterstehenden Geschichte ist sehr eindrücklich. Die Darstellung der Tragödie durch das Museum und durch die daraus entstandene Beschreibung durch Francesca sind der Wirklichkeit wohl näher als der Film dazu. Herzliche Gratulation und liebe Grüsse

  • #5

    Planson (Freitag, 04 August 2023 22:19)

    Très bien écrit et raconté...
    Même si ce drame est présent dans nos mémoires, ta façon de le raconter rend l'histoire encore plus vrai.
    Merci