Vers le sud II

Ich bin gespannt auf Avignon. Weil die Lord Byron im Eiltempo durch die diversen Eclüsen schleusen konnte, sind wir vor  Zeit. Nicht ohne Stolz kündet Yolanda eine besondere Überraschung an. Das Schiff wird ausser Plan an der berühmten Brücke vorbei gleiten.

Diesen Knüller, eine solche Sicht, will sich natürlich niemand entgehen lassen. Wir hechten alle auf das Oberdeck, wo alsbald enthusiastisches Geklicke die Szenerie bestimmt.

Und nun in die Stadt. Meine violett-lavendelbündel-geschwängerte Vorstellung von Avignon wird bereits an der Stadtmauer entscheidend dérangiert. 


Abweisend. 

Die Stadtführerin hatte noch erwähnt, dass die Atmosphäre in Avignon ganz anders sei als in Arles, dem Künstlermekka. In der Tat. Weiter im Zentrum wird es nicht besser. 

Der Papstpalast erdrückt die Umgebung. Schroff… Dominant. Meine Motivation diesen irren machthungrigen „Päpsten“ meine Aufwartung zu machen, sinkt auf Etage 1 rapide und ich klinke mich aus. Ciao Frescos und Co. 

Die aufgeräumte, karge, Ville verdient wenigstens meinerseits die Entdeckung eines sinnlichen Gegenprogramms. Schwierig aber doch noch gelungen. 

Das Wandbild mit den drei Ladies nährt  Hoffnung. Und tatsächlich. Ein paar Gassen weiter zieht mich schwüler Duft in einen bezaubernden Laden. 


FRAGONARD. 

Der Eintritt in diesen Tempel der duftenden Erotik ist unvermeidlich. 

Süsse Passionsfruchtnoten bezirzen meine Nase. Magnolie umschmeichelt meine Sehnsüchte. 

„Belle Cherie“ und „Reines des Coeurs“ kokettieren mit elegant-floraler Verpackung.  Ich date das Fläschchen“ „Madmoiselle d‘Amour“ 

und die Linie „Rêve d‘Arles“ weist mir den Weg aufs Boot. So beduftet verdufte ich und es heisst: „Leinen los. Direction: Arles“.

Der Top-Ausflug sei die Camarque.  Eine warme Empfehlung des Schiffsmanagements. Etwas widerwillig buche ich, denn die anderen lokalen Tourenanbieter kamen mir etwas authentischer rüber. Leider alles voll. 


Meine Reiseerfahrung würde mir recht geben. Nix mit weissen Hengsten, die mit wehenden Mähnen durch schilfbestandenes Marschland preschen. Wasser aufstiebend. 

Die berühmten Torros wurden auf einer grünen Wiese vorgestellt. 

Der Guardien tat sein Bestes und sein Pferdchen wendete servil, flink und furchtlos und liess die „Schwarzen“ in jede gewünschte Richtung  zuckeln. 

Auf der Rückfahrt gaben sich noch 

Flamingos in homöopathischer Dosis punkto Anzahl und Farbintensität die Ehre. Für einen ersten Eindruck war es interessant. Aber die echte Camarque muss gesucht werden oder sie wurde wegtouristisiert und existiert nicht mehr. Ich komme wieder… das Wahre suchend.

Aber nun steht mein persönlicher Höhepunkt an. Sorry, geschätzte Gladiatoren, ihr könnt Eure Schwerter wieder einstecken. Keine Zeit für die Arena. Mir steht der Sinn nach Steinbruch. 

An der Rezeption gibt man sich verhalten. „Carrière des Lumières? Nie gehört.“ „Taxi?“

„Hmm schwierig in Arles, keine Fahrer.“ Ich bleibe standhaft und buche den Eintritt auf Risiko online. Zwischenzeitlich sammelt sich die Gruppe, welche die Stadtführung gebucht hat, am Quai. Auch ich bin dort. Ein Taxi wurde gefunden und gerufen. Erwartung null. Wahrscheinlich irgendeine alte Rochel mit einem Fahrer, der arabisch spricht. Dann geht ein Raunen: „Oh nobel, nobel!!“, durch die Reihen der andern Passagiere. Ein schnittiger silbergrauer Tesla hält direkt vor mir. Stéphan ein adretter Local aus Arles steigt aus. „Madame… Carrière? …allons y!!!“ Stéphan geniesst seinen Auftritt vor gewogenem Publikum und es vertätscht ihn fast vor Stolz, weil sein Elektrorenner so viel Aufmerksamkeit erntet. Während ich mich in den schwarzen Ledersportsitz drücke, autopilotiert der Tesla über Land Richtung „Les Beaux“. 

Da oben auf den Karstfelsen thront das schönste Dorf Frankreichs. Es ist 9.30 Uhr. Kein Mensch. Stéphan strahlt. „Das gibt es fast nicht mehr. Normalerweise wälzen sich hier die Touristenmassen durch das Santorini der Provence. „Incroyable“, murmelt er mit lichtem Blick, „aucun visiteurs“.

Ich bin beeindruckt. Wie auf einem Adlerhorst kleben die Häuser auf den Klippen. Tief- und Fernblick.9.45. Mein Puls steigt. 

Stéphan packt mich nochmals ins Auto. Drei Minuten. Endlich am Ziel: Carrière des Lumières. Ein Bauxitsteinbruch mit magischer Strahlkraft. 

Ich trete ein und bin extra mundum. La Réjoissance von Händels Gnaden durchquillt die gigantische Halle, sich an monumentalen Steinquadern brechend.  Darauf projiziert: Der Dogenpalast in früherer Zeit. 

Gondeln fahren hoch, 

verschmelzen in der nächsten Szene. Ein Morgenrot hinter der berühmten Silouette. Plötzlich stoppt die Musik. 

San Marco transformiert sich ; modernes Streifenmuster in Rot und Schwarz.  

Cut. 

Vivaldis Jahreszeiten erheben sich in breiter Fulminanz und lassen den Frühling zwischen edlen Ranken erblühen. 

Ein Cembalo sieht seinen Moment gekommen; klettert in sixtinische Wolken, 

um all zu bald von Arien und rotierenden Kronleuchtern abgelöst zu werden. 

Aus der Ferne schleichen sich gregorianische Chöre an. Byzanz und Ornamentales ergiesst sich über den Boden, über mich, über den Stein, der sich schon wieder wandelt 

und tausend Körper in Hades und Hosianna verquickt. 

Und dann plötzlich nackte Schlichtheit. 

Synthesizerschwälle gurgeln sich den kahlen eisblauen Wänden entlang. Silencio!

Ich trete hinaus ans Licht. Wie benommen. Nach diesem Sinnesrausch. Was für ein Erlebnis. Wie erschöpft besteige ich den Tesla. Stéphan nimmt den Weg am LUMA vorbei. Für einen sehr sehr kurzen Besuch reicht es. Aber meine Rezeptoren sind voll. 

Nur dieses berühmte Gelb von Arles möchte ich noch in mich lassen. Vinzent‘s Café. Ich setze mich inmitten dieser unglaublich intensiven Farbe auf die purpurrote Plüschbank. Sonnenblumengelb. Gelb… gelb… gelb. Es durchdringt mich… wärmt mich.

Ganz wie Van Gogh: „Un Bastis s‘il vous plaît.“  Der Kellner ist toute de suite zurück. Voilà! Meine Finger umfassen das Glas gefüllt mit dem milchigen Anis-Gletscherwasser. 


Ein spezieller Trunk für besondere Momente. 

Arles, die Provence, haben mich berührt.

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Kommentare: 7
  • #1

    Albert Müller (Samstag, 29 Oktober 2022 11:36)

    Unwahrscheinlich herrliche Aufnahmen: DANKE!

  • #2

    DON PEDRO (Samstag, 29 Oktober 2022 11:38)

    Kompliment, typische Cruise Erlebnisse! Wer noch mehr Lust auf Schifffahrten hat trifft sich mit Donna Martha und mir am nächsten Mittwoch um 11:30 am auf Pier 46 in LA auf dem Weg nach Lima

  • #3

    Dorte (Samstag, 29 Oktober 2022 13:22)

    Herrlich wie du die Erlebnisse beschrieben kannst "homöopathisch", "wegtouristisiert" etc. . Leider hat sich vieles verändert in den letzten 30 Jahren, umso schöner das Erlebnis im Steinbruch. Gute Heimreise!

  • #4

    Rena de la casa (Samstag, 29 Oktober 2022 17:49)

    Diese Bilder sind für uns auch ohne Musik erahnbar: Carrière des Lumières ist einer der Höhepunkte der Region! Da brauchts den Pastis zum ‚Runterfahren‘.
    On y va une autre fois, n‘est-ce pas?

  • #5

    Karl Stalder (Sonntag, 30 Oktober 2022 02:16)

    Die Provence. Einmalig kreativ bebildert und beschrieben. Eine Heimat der Düfte, Farben, Genüsse, urchigen Menschen. Vive la France et ton flair! Toujours un plaisir a lire exceptionel. Merci infiniment

  • #6

    Brun Sylvie (Montag, 31 Oktober 2022 04:57)

    Bonjour
    Bin immer wieder fasziniert von Deinen Reiseerlebnissen. Meine Eltern hatten nähe Pond du Gard ein Haus. Gerne erinnere ich mich an diese schöne Zeit zurück, meine Kinder schwärmen jetzt noch davon. Vor ein paar Jahren war ich wieder in der Gegend. Les Beaux verlangt jetzt sehr viel Eintrittgeld damit du die wunderbare Aussicht geniessen kannst. Schade....
    Aber sonst ist diese Region immer noch fantastique�

  • #7

    Michel (Samstag, 05 November 2022 15:32)

    Merci pour cette 2eme partie de voyage dans le sud.
    Magique
    Amitiés
    Michel