Flanderlust

Ich übernehme wirklich keine Verantwortung. Die schiebe ich auf Natan ab. Ein echter Local von Brügge.


Also bitte vor der Lektüre noch einen gesunden Salat verköstigen. 

Natan wartet auf dem Grote Markt/ Grossen Markt. Wo denn sonst. 


Der Belfried lässt gerade seine 26 Glocken bimmeln. Und ewig klappern die Hufe. Pferdekutschen … daraus winkende Liebespaare… Kinder… heile Welt.

Natan ist stolz auf seine Stadt. Eine, die ich schon immer auf dem Radar hatte und die es nun ganz leichtfüßig auf meine Top -Ten-Städte-Liste schafft. Sofort fühle ich mich wohl. 

Natürlich wird vieles pour la Galerie getan. Überall erstrahlen die unzähligen Giebelhäuser in schmuckem Glanz. Um etwas hinter die Fassade zu gucken, ist nun Natan an der Reihe. 

Gleich zu Beginn kommt Herzensthema Nummer eins zur Sprache. Ja zur Sprache: 

DIE SPRACHE. 

„Du bist hier in Flandern. Wir sprechen flämisch. In Wallonien Französisch. Leider hat man damals bei der Staatsgründung die Flamen übergangen und nur Französisch als Amtssprache festgelegt. Eine Kränkung, die nie verdaut wurde und heute noch schwelt.“ 


Zwar wurde später Flämisch und erstaunlicherweise auch Deutsch (upps… wo gibt es hier Deutsch?) als weitere offizielle Sprachen festgelegt, doch der Stachel scheint unversöhnlich zu stecken.

Nach der Schilderung von einigen heroischen Schlachten à la Winkelried  geht es nun um die bezaubernden Häuser. „Brügge… Natans Augen glänzen - war die reichste Stadt Europas!!“ Alles was Schiff und Namen hatte landete hier an, denn das Meer reichte damals noch fast bis in die Stadt. Selbstverständlich zeigten die begüterten  Händler auch ihren Status. Paläste, Zunfthäuser, Kirchen - fast alle in einheitlichem  Ziegelbau - wohin das Auge schaut.

Es gab  kreative Konstruktionen. Schiffe konnten sogar in eine Art Halle einfahren und da im Trockenen direkt gelöscht werden. (Mir kommen die James Bond Filme in den Sinn, wenn U-Boote in geheime Anlagen gleiten). 

Bleiben wir noch kurz beim Monetären. 

Brügge schwamm im Geld und deshalb war auch das Wechselgeschäft wichtig.

So erfahre ich am Platz mit einem aus der üblichen Bauform fallenden Haus, dass just hier  im Wirtslokal schon seit eh und je florierender Geldhandel getrieben wurde. Die Wirtefamilie  hiess de Bourze. Ihr Name wurde später in vielen Sprachen für „Börse“ übernommen. 

Aber nun gibt es endgültig kein Halten mehr. Natan glüht geradezu vor Begeisterung.

„Wir Belgier essen und Trinken fürs Leben gerne!!!“ 

Schon an der nächsten Ecke an einem lauschige Kanal schmeichelt sich unwiderstehlicher Duft heran. Beim Anblick der knusprigen Waffeln fallen alle Hemmungen. 

Bei Otto gibt es die elegante Brugerwaffelform aus glutenfreiem Getreide und gesünderen Füllungen.

Aber sonst:


Kalorienzählen ist in diesen Gassen ein herrlich Fremdwort. Klar gibt es die Gebäcke auch natur, aber wen interessiert das hier schon. Unverschämt bombastische Toppings aus Schlagrahm, tropfender Caramelsauce, zuckrig-marinierten Beeren, Bananen und lasziv aufreizenden Schokoladefäden, lassen jegliche Vorsätze vergessen. 

Ganze Trauben von WaffelbegehrerInnen stehen Schlange, um dann eeeendlich das corpus delicti in einem Kartonschächtelchen glücklich in Händen zu halten.

Im Stehen, im Sitzen, auf dem Rad … sofort stürzen sich die Verführten auf die Waffeln. Denn nach belgischer Ansicht ist es eine Totsünde, die Gebäcke erkalten zu lassen. 

Wir schlendern weiter. Die Bistrotischchen, in den unzähligen Restaurants sind gut gefüllt und das nicht nur mit Touristen

„Schau“, ruft Natan, eine unserer Nationalspeisen. Überall stehen Schwarze Töpfe auf den Tischen. 

Deckel ab und … „ahhh der Dampf“, schwärmt Natan. Fast alle bestellen Moules. 

Je nach Hausspezialität gibt es dazu diverse Saucen und …“dazu natürlich?“  Er wartet die Antwort nicht ab: 

Fast schon extatisch: „Frittes!!!!“

Eines der belgisch-gourmetastischen Heiligtümer. (Weshalb auch immer).

Auch ich habe es bemerkt: Die Beilage ist praktisch zu allem Frittes. Ausserdem Frittenbuden an jeder Ecke. Frittes ist der Cervelat der Flandern. Sollte diese, meine Feststellung, einen leichten Hauch in Richtung Eintönigkeit vermitteln, würde Natan sicher mit Entrüstung reagieren. 

„Frittes sind eine hohe Wissenschaft. Erfunden - leider - von den Franzosen aber perfektioniert durch uns!“ Die UNESCO sei gerade daran, die Kartoffelstängeli zum kulinarischen Weltkulturgut zu adlen. Natürlich nur à la mode Belgique. Zweimal in Rinderfett frittiert. Nur so erhalte sich im  Innern eine schmelzige Weichheit, welche zur superkrossen Ummantelung perfekt kontrastiere. Als ob die Doppelbaderei im Öl nicht schon genug wäre: Jetzt muss noch die Sauce her. Für Ketchup scheint man hier nur Verachtung zu empfinden. Mayonnaise gilt hier als Mass aller Dinge. Möglichst dekadent in Form eines sich über den Gefritteten ausgestreckten Sees. 

Noch  habe ich meine Traumpommes nicht entdeckt. Aber Natan gibt mir noch den ultimativen Tipp für Brüssel. Vielleicht schaffe ich das?

Yesssss: (Ich greife kurz vor) Maison Antoine in Brüssel. Laut New York Times die besten der Welt.



Inzwischen strolchen wir über den Flohmarkt, wo Mareike mit einer sehr  originellen Idee aufwarten kann. 

Sie gestaltet aus alten Silberlöffelchen Fingerringe. Gekauft!

Natan interessiert das eher wenig und ich muss ihn am zauberhaften Minnewatersee einholen. 

An den hiesigen Kanal grenzt auch die Half Moon Brauerei. 

Natan ist stolz, Teil dieses Crowdfunding Projektes zu sein. Eine 3.5 km lange Bierpipline führt unterirdisch vom Produktionsort zum  Lager. Natans Erklärungen sind mindestens so lange. Ich dachte immer Bier=Deutsch, aber hier ist die Leidenschaft noch grösser. Es ist die Passion für das Detail. 

Das Brügger Biermuseum ist deshalb sehenswert, wo ich endlich auch rehabilitiert werde, dass ein Paring von Bier und Schokolade richtig sei. Das machen die Belgier schon lange. 

Also ab zur Verkostung samt einem Stück Käse natürlich mit Senf. 


Die Auswahl ist endlos.

Alors… es ist heiss.

Danke Natan, für diesen gourmetastisch-historischen Einblick.

Proost!!

Und dann geht es ab in die Bruger Nacht.

Mystisch.

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Kommentare: 6
  • #1

    Rena de la casa (Donnerstag, 04 August 2022 19:11)

    Brügge - ein unbekannter Ort auf meiner Reiseliste. Doch moules et frites macht immer gluschtig, ein Bier statt Wein dazu, na ja. Doch die Mayo kann bleiben, wo sie ist.
    Wie gehts dir jetzt wohl verdauungsmässig, liebe Francesca?

  • #2

    Albert Müller (Donnerstag, 04 August 2022 22:35)

    Herrliche Aufnahmen, also muss ich erst gar nicht hingehen...und Hunger und Durst habe ich auch nicht mehr...

  • #3

    Silvano Monn (Freitag, 05 August 2022 09:01)

    Bravo Franziska!
    Deine Schreibkunst ist einfach Weltklasse �����

  • #4

    Wolfgang (Freitag, 05 August 2022 11:10)

    Franziska auf „Geniesserinnen Tour“!
    Das riecht und schmeckt bis hier her.
    Die Schoki nicht vergessen und weiterhin dranbleiben.
    Lg
    Wolfgang

  • #5

    Dorte (Freitag, 05 August 2022 18:49)

    Danke Franziska. Jetzt weiss ich was wir Mitte September in Brügge machen :-)

  • #6

    Annalies (Sonntag, 07 August 2022 22:47)

    Danke für deinen Bericht. Ich war auch 2 mal dort und bin begeistert von der Stadt. Die Auswahl an Verpflegung ist gross, gut und die belgische Schokolade ist weltbekannt. Ich wäre gerne etwas länger dort geblieben.