Himmel auf Erden

Die Anfahrt ist schon mal filmreif. Hinter dem Wäldchen leuchten auf saftigen Weiden die schneeweiss getünchten Latten der Koppeln.

Alsbald tauchen auf dem sanften Hügel hinter ergünendem Gebüsch gotisch inspirierte Treppengiebelhäuser auf.

Auf der nächstliegenden Einzäunung - am Teich - grast eine Mutterstute. Das Fohlen mit einer herzigen Sternblesse auf dem Nasenrücken, stackst um die Mama herum. Wälzt sich am Boden und dreht gleich darauf auf den noch viel zulangen Beinchen eine wild-ausgelassene Runde.

Die weltberühmte Schriftstellerin, Rosamunde Pilcher, würde auch postum (2019) bei dieser Ansicht dahinschmelzen und es würde nicht lange gehen, bis sie hier einen Steinwurf ennet der Schweizer Grenze auf HOFGUT ALPFÜHREN eine Herzschmerzstory mit Intrigen, Tränen und Happy-End-Küssen zum Leben erwecken würde.

Mein Blick fährt unweigerlich hoch zum hohen Bogenfenster eines zentralen Hauses. Dahinter eine Bewegung?

Hinter der Scheibe ein geahnter Reflex. Ohhhh ….. nein!“ durchfährt mich ein Blitzgedanke. „Gerold?“ „Gerold, bist Du es?“ Ich steige hinauf zu Suite 33. Ein Traumzimmer. Zimmer? Eher Festsaal.

Ich sehe niemanden…. aber es schwingt Energie. „Gerold …. bist du da?“ In mich fliesst Antwort: 

„Wird auch Zeit, Francesca, dass Du dich um mich kümmerst.“

Könnte ich Georld, Fürstabt von und zu Zurlauben (1649-1735) jetzt sehen, er würde  mich wohl anschauen wie der Vizequestore in Donna Leons, Kriminalgeschichten, wenn Kommissar Brunetti ihn wieder einmal übergangen hatte.

„Schön Francesca, dass Du mich auf meinem ehemaligen Besitztum „Hof Albführen“ besuchen kommst. Ha…. Bitterkeit in seiner Stimme. Was wisst ihr in der Zuger Heimat noch wirklich, wo wir Zurlauben überall gestalterisch tätig waren. 

Dein Besuch auf Kloster Rheinau, das ich hochgebracht und zum heutigen Barock-Schmuckstück erblühen liess…. das war Dir ja im Juli 21 keinen Blogartikel wert!  Trotz der einmaligen Insellage inmitten einer Rheinschlaufe.

Also habe ich gedacht, wenn Du jetzt hierherkommst, müsste ich da etwas Präsenz zeigen. Immerhin war das Hofgut in meiner Epoche im Besitze meines Klosters Rheinau. 

Später haben wir Albführen verkauft. Aber die Giebelhäuser gell…. erinnern an die Zuger Altstadt!“

„Nun, Gerold… nur keine falschen Federn, bitte. Albführen hat das Kloster mit einer dreisten Urkundenfälschung im 10. Jahrhundert in seinen Besitz gebracht und die Gestaltung der Häuser ist zwar gotisch inspiriert, aber nicht Original, sondern lehnt sich an den örtlichen Baustil des Klettgaus an. Aber lassen wir die Details. Bitte Gerold. Ich habe Deine Botschaft verstanden, aber halte Dich ab jetzt im Hintergrund.“ 


Film ab für Rosamundes Setting in einem Umfeld wie Himmel auf Erden:


(Handlung und Namen sind drei erfunden):

Unten im Hof, hallt Hufgeklapper. „KlickKlack , klickklack“, klopfen die Eisen auf das Pflaster. 


Die beiden Stars des Gestüts haben Ausgang. Angela, die junge ambitionierte Bereiterin führt den Deckhengst ARTEMIS am langen Zügel. Ihr blondes Haar ist zum Zopf gebunden, der hinten aus der grünen Cap herausguckt. Dresscode (Britisch Racing Green), die Farbe von Albführen.

Daneben schreitet würdig der Edelrappe SOCRATES, heute geritten von Emily von Grafenstein. 

Es ist nicht Angelas Tag. Seit Tagen ist ihr Freund, der neue Tierarzt auf dem Hofgut, Kevin Kramer, auf unüblicher Distanz zu ihr. Wo ist die Leidenschaft, die sie im Stall auf Strohballen im Stutenstall geteilt hatten ? Ein flüchtiges Küsschen da… sonst nichts. Wenig Worte. Er scheint abgelenkt. Etwa von dieser eingebildeten Ziege Emily?

Und die Dame in Blau mit den schwarzen Haaren, die überall auftauchte, wo Angela mit Socrates gearbeitet hatte? 

In der Halle, auf dem Springplatz. Ist es Emilys Mutter? 

Drei Jahre hat Angela den Wallach zur grossen Springhoffnung des Gestüts geformt. Bei ihm in der Box geschlafen. Tag und Nacht ihn gehegt und gepflegt. Ihn sorgsam an jede neue Schwierigkeit herangeführt.

Sollte an den Gerüchten über einen bevorstehenden Verkauf etwas dran sein? 

Den Springexperten Roland Winter hat sie auch schon auf dem Gelände gesichtet. Für Angela eine Katastrophe. Würde sie sich von ihrem vierbeinigen Freund trennen müssen? Ihre Hoffnungen begraben, endlich für den Start einer eigenen Springkarierre ein talentiertes Pferd unter dem Sattel zu haben. 

Klar, Socrates würde willkommene Mittel in die Kasse des Gestüts spülen. Aber zu dieser Emily, die sich einfach ein fertig ausgebildetes Pferd kaufen lassen könnte. Kritisch mustert Angela ihre Reitarbeit, ihren Stil. Zu hart, zu kantig. Da ist doch keine Chemie zwischen Zügeln und Trense. Natürlich lässt sie kein gutes Haar an der vermuteten Kaufinteressentin.

Aus dem Bauerngarten erscheint plötzlich Kevin. „Gut, dass ich Euch antreffe. „Angela, könntest Du bitte bei den Paddocks zum Rechten sehen? Ein Pensionspferd hat die Kopfhaube abgestreift 

und ein Lehrling braucht  Hilfe beim Flechten der Mähnen!“

Angela bindet Artemis an einen Zaun, straft Kevin mit einem eisblauen Blick ab und geht wortlos von dannen. Sie erledigt flink das Verlangte und kehrt zu ihrem Schützling zurück. 

Emily scheint abgestiegen zu sein. Sokrates knabbert an einem Heubündel. 

Aus der Sattelkammer des nahen Sportpferdestalls vernimmt Angela verdächtige Geräusche. Ein zwei Schritte vor und….. ein Stich in ihr Herz. Kevin und Emily eng umschlungen. Angela macht sich gar nicht erst die Mühe, leise zu sein. Der Fall ist klar! Furios dreht sie auf dem Stiefelabsatz um. Ihr langer Rosssschwanz fliegt. Kevins Stimme hinter ihr: „Angela: Es ist alles anders als du denkst!“ Zu spät. Angela schwingt sich auf den draussen angebundenen Socrates. „Alles vorbei!“, hämmert es in ihrem Kopf; Tränen verschleiern ihr die Sicht. Socrates wirft seinen Kopf auf. Steigt hoch… halbe Levade und ab geht es im Galopp den freien Wiesen entgegen.

Noch EINMAL….“, fetzen die Gedanken durch Angelas Kopf; „noch EINMAL Zeit mit Socrates verbringen. Morgen würde sie den Hof verlassen….. samt ihren Träumen und Visionen. Kein Kevin, kein Socrates, kein Springreiten.“ 


Im rasanten Tempo stürmen die beiden in Richtung Nappbergwald.. 

Weiter… weiter….immer weiter.

Es dämmert. Da … plötzlich gut zwanzig Sika-Hirsche, die verschreckt Reissaus nehmen. Ihre Spiegel leuchten in der mondhellen Szenerie, hüpfen bei jedem Sprung auf und ab. Diese unverhoffte Begegnung erschreckt Socrates zuriefst. Er scheut… steht aus rasanter Galoppade bockstill… sein ebenholzschwarzer Hals biegt sich… Angela fliegt im hohen Bogen. Ihre Sinne schwinden. 

Erst als sie Geräusche eines Pickups hört, kommt sie langsam zu sich. Kevin beugt sich über sie. „Angela Liebste…. Socrates ist zurückgekommen und wir haben Dein Phone geortet.“ Angela mag nicht reden. 

Zurück im Hofgut, bettet Kevin sie auf die romantische Rundbank im Hof unter der  80-jährigen Eiche, die im Mondlicht ihr jungfräuliches Grün schimmern lässt. 

Angela sprüht vor Wut, will aufstehen. Knickt jaulend ein: Der Knöchel. Sie sinkt - unfreiwillig - auf Kevins Schenkel. „Jetzt hör mir doch zu: Vorneweg: Emily ist meine Schwester und ich heisse nicht Kramer, sondern  Kevin von Grafenstein. Meine Mutter, die schwarzhaarige Lady, Vanessa von Grafenstein, hat mich unter falschem Namen hier einschleusen lassen, um die Qualitäten von Socrates in aller Ruhe prüfen zu lassen. Ja, wir suchten ein Springpferd für Emily, aber heute Nachmittag hat Mama entschieden, dass sie Socrates und Dich nicht trennen will und kann. Sie ist berührt und begeistert von Eurer Harmonie. Natürlich habe auch ich abgeraten. Diese Nachricht musste ich Emily überbringen. Es flossen Tränen… verständlich…ich habe sie getröstet. Auch sie hat sich in dieses Pferd verliebt.“

Angelas Anspannung weicht verwundert erleichtertem Staunen. Die beiden, Kevin und Angela, sind allein. Ihre Lippen nähern sich. 

Der Vollmond wacht. Näher immer näher. Gerade möchte Kevin entscheidend Romantisches flüstern… vor diesem Kuss, da knarrt bei Suite 33, von der man direkt auf den Hofplatz sieht, ein Fenster. 

„Gerold….. entfährt es mir, der Schreibenden, in Gedanken. „Du elender Voyeur. Du hast versprochen, dich aus meiner Story herauszuhalten!“


Gerold lächelt verschmitzt! „Bin schon weg! Musste nur gucken, wie das mit dem Küssen geht. Als Abt relativ wenig erfahren“, grinst er. Ich habe an der Himmelspforte in ein paar Minuten ein Date mit Rosamunde. Die Dame hat Ansprüche (nach sovielen verfilmten Liebesgeschichten)  Kevin und Angela genießen ab sofort auf Albführen den Himmel auf Erden. Hab da unten wohl einiges verpasst. 


Ich hole mir nun „sündige“ Erde in den Himmel. Tschüss!! 

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Kommentare: 7
  • #1

    Wolfgang Bösenberg (Sonntag, 17 April 2022 21:42)

    Wunderbare, profund untermalte Liebesgeschichte. Kann man auch mehrmals lesen.
    Frohe Ostern liebe RosaFrancesca

  • #2

    Maria (Sonntag, 17 April 2022 23:07)

    Kenne zu wenig die Geschichten und Filme von Rosamunde Pilcher, aber deine war super! Weiter schöne Ostern und solche Geschichten.

  • #3

    Albert Müller (Sonntag, 17 April 2022 23:20)

    Wie immer - grossartige Aufnahmen, bes. jene mit Pferdekopf, und Zurlauben-Entdeckung ( vgl. Zurlaubiana ) und für mich eine rührende Geschichte, zumal ich selbst begeisterter Reiter mit Pferd Zita aus dem Stall von Xaver Moos im Rüschenhof war...

  • #4

    Werner Weber (Montag, 18 April 2022 09:38)

    Liebe Franziska
    Eigentlich sind Geschichten von Rosamunde Pilcher eher zugeschnitten für meine 90 Jahre alte ledige Schwägerin. Ich war aber auch richtig begeistert von der Story. Wow, du übertriffst dich wieder.
    Herzlich

  • #5

    Cornelia (Montag, 18 April 2022 10:34)

    … nur die Sequenz mit dem iPhone …. Hmmmm … ob Rosamunde davon erfahren darf….
    Eine schöne Geschichte zum schmunzeln �

  • #6

    Dorte (Mittwoch, 20 April 2022 11:27)

    Na, na da fängt jemand eine neue Karriere an. Autorin in den Fußstapfen von Rosamunde Pilger und Co. �

  • #7

    Rena de la casa (Mittwoch, 27 April 2022 15:11)

    Francesca schreibt nun Liebesgeschichten? Doch mit Stil, Herzschmerz und Happyend inklusive, versteht sich.
    Mal was Neues!
    Danke für die mir unbekannten Einsichten in die Familie der von und zu Zurlauben.