Stille Pracht

Im Allerletzten Moment habe ich die Augsburger doch noch durchschaut. Fast scheint es mir, als würden sie ihre wahre Präziose lieber für sich behalten, oder geht es darum, dass hier der Eintritt frei ist?


Ich habe im Maximilian‘s  bereits ausgecheckt. Ah.... der Fugger-Express wartet noch eine Weile. Zeit für finale Entdeckungen.

Zehn Schritte um die Ecke schlummert das Schaezler-Palais. Nichts deutet auf eine kunsthistorische Sensation hin. Es wird auch nicht grossartig beworben. Der Garten steng im Kugelschnitt. Gefällig. Das Entrée schlicht. 


Die Kassierin, die eben keine ist, zumindest nicht für Eintritte, scheint heute gerade mit dem falschen  Bein aufgestanden zu sein. „Rücksäcke: Dahinten ins Schliessfach!“, murmelt sie in Ihren karierten Wollschal hinein. „Ein Stockwerk hoch, durch die Gemäldegalerie ganz nach hinten!“ Enthusiastisch geht anders, aber diese Gefühlsregung, es wird sich noch zeigen, ist eben in einigen Minuten nur mir vorbehalten. 

Es erwartet mich das Übliche. In einer geraden Linie liegt Zimmer an Zimmer mit diesen für Schlösser üblichen quadratischen Durchgängen. Tapeten wechseln von Rubinrot, zu Gold zu Türkis. Gläserne Blicke starren mich unter schlohweissen Puderperücken aus patinageschwängerten Ölgemälden an. 

Pardon ich habe keine Zeit für Euch. Ich will nur zu diesem Tor, das weit hinten glänzt. 

Die 14-Jährige Marie Antoinette schritt als Stargast zur Eröffnung des Saales 1770 durch dieses Tor. Und es muss ihr ergangen sein, wie mir.


Langsam, sehr langsam drücke ich die Klinke. Die gut 4 m hohe Türe knarrt. Ich erwarte Trauben von Besuchern in diesem Rockoko-Saal der Extravaganza. Ein erster Blick. Mir stockt der Atem. Ich habe schon viel gesehen, Versailles, St. Petersburg....aber das..... das schlägt alles. 

Und ich bin allein. 

Ein Firmament aus Zartmint und Lilarosée wölbt sich in schwindliger Höhe. Ich bin erschlagen und hochentzückt zugleich.

Goldene Stiele klettern auf spiegelnden Unendlichkeiten  in das Gewölbe und multiplizieren sich mit den Eiskristallen der Leuchter, die von der Decke tropfen. Ein Kaleidoskop des Glitzerns. Und ich mitten im Saal... Allein...ich spüre diese Stecknadelstille. Ein Nichts, das so präsent zwischen allem, was damals möglich war, ruht. Ein Schweigen zur Dekadenz des Prunks räkelt sich zwischen den filigranen Ranken und gleichzeitig ertrinken meine Augen wehrlos  in dieser Eleganz und Anmut. 



Für Marie Antoinette soll es einer ihrer vergnüglichsten öffentlichen Auftritte gewesen sein. Ein ganzes Paar Schuhe soll sie unter den flackernden, hundertfach in den Spiegeln replizierten Kerzen, durchgetanzt haben. Wenige Monate später wurde sie dem Französischen Dauphin und späteren König Louis XVI versprochen. Mal histoire.

Von Ferne höre ich Stimmen. 


Adieu Du „Alice-im-Wunderland-Gemach“. Ich möchte Dich nicht teilen. Unsere intime halbe Stunde soll nicht entweiht werden. Leise drücke ich die Türe ins Schloss.

Unvergesslich



Stille Pracht.

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Kommentare: 9
  • #1

    Werner Weber (Sonntag, 26 September 2021 09:46)

    Liebe Franziska
    Ja, so muss Geschichte geschrieben werden, Geschichte erleben. Ich glaubte gerade selbst in Augsburg gewesen zu sein.

  • #2

    Michel (Sonntag, 26 September 2021 09:46)

    Superbe !
    Merci �
    MP

  • #3

    Vreni (Sonntag, 26 September 2021 11:18)

    Wow was für ein Raum, gleichzeitig wunderschön aber auch dekadent, wenn ich mir überlege wie das Volk damals leben musste.......
    Toller Text Franziska!!

  • #4

    Albert Müller (Sonntag, 26 September 2021 11:21)

    Ich staune über die herrlichen Aufnahmen - du bist auch eine Starfotografin...Danke

  • #5

    Georges (Sonntag, 26 September 2021 11:21)

    Unglaublich: Text und Bild

  • #6

    Antje Stiemerling (Sonntag, 26 September 2021 11:47)

    Wunderbar hast du den Leser entführt in ein Schloss so wunderschön in Sprache und Bild eingefangen .

  • #7

    Stephan U. (Sonntag, 26 September 2021 14:37)

    Auch mir stockt der Atem - aber aufgrund von Text und Bild.

  • #8

    Margrit Furter (Montag, 27 September 2021 18:44)

    einfach grandios. ich hatte keine ahnung, dass augsburg so etwas bietet.

    franziska, mach weiter so.

  • #9

    Rena de la casa (Dienstag, 28 September 2021 18:50)

    Comme Marie Antoinette erlebtest du diesen goldenen Prachtsaal - in Gedanken, für dich und ohne durchgetanzte Schuhe.