Augusta

Das tönt ja schon mal sehr gut. „Fuggerexpress“. Ich wähne mich schon in einem Prestigezug der Deutschen Bahn von Ulm nach Augsburg. Mindestens mit blauen Samtpolstern, Speisewagen und natürlich ohne Halt bis zu meinem Ziel. Die Realität zuckelt um 10.36 in Form einer profanen S-Bahn mit einem Vierer 1. Klasse Abteil daher. Bremsen quietschen. Aha. Wenigstens ist mein Interviewgast schon präsent. 

Er ist so viel beschäftigt, dass er nur während der Reise kurz Zeit für mich hat. Etwas knochige Gesichtszüge, schmale Nase. „Herr Fugger?“ Er ohne Umschweife: „So so die Zugerin. Also zu meiner Zeit hätte ich sowieso nicht eine ganze Stunde für ein Weibsbild aufgewendet. Die Frauen haben wir jeweils - während wir Business machten - im „Damenhof“ parkiert“. Ich habe dort meine ganze Liebe zu Venertien verwirklicht. Sollten Sie besuchen. Jetzt 2021: Tolle Bar mit mediterranem Flair.“

Um seinen anschwellenden Redefluss zu unterbrechen, grätsche ich frech mit meiner wichtigsten Frage dazwischen. „Herr Fugger, wie kam es zu Ihrem sagenhaften Aufstieg zu einem der reichsten Männer Europas?“ Sie werden als der Bill Gates Ihrer Zeit betitelt.“

Fuggers Gesichtsausdruck sprüht Empörung. „Also bitte: Wollen Sie mich beleidigen? Fake News, fake. Ich, Jacob Fugger, war nicht einer der reichsten; ich war der reichste Mensch ever. Bei meinem Tod 1535 schätzte man mein Vermögen auf 400 Milliarden Dollar umgerechnet. Das ist mehr als Gates, Bezos und Buffet zusammen.“

„Ich bin neugierig. Wie haben Sie das bewerkstelligt?“


„Mein fleissiges Väterlichen kam 1367 als Stoffkaufmann nach Augsburg, DER Textilstadt nördlich der Alpen. „Fucker advenit“ (Fucker ist angekommen) heisst es da, in den Steuerbüchern der Stadt. Klammer: Den Namen habe ich übrigens in „Fugger“

umändern lassen. Er grinst zwischen den Stockzähnen. Wär glaub heute nicht so gut....“Fucker“ ..... oder?“ 

Also da, wo heute die Besucher im malerischen Weberviertel entlang der Kanäle des „Lech“ flanieren, arbeitete ich mich hoch. 43% der Handwerker der Stadt waren Weber. Sie betrieben ihre Barchentwebereien mit Wasserkraft .... und blieben arm... mausarm. Mich dagegen schickten die Eltern nach Italien, um den Stoffhandel zu erlernen. Ich hatte also einen guten Start.

Das macht einen Unterschied, aber punkto Supererfolg: Talent für Handel reicht nicht. Ich war ein begnadeter Netzwerker. Ich hatte alle Kontakte. Ich war mehr Banker als Kaufmann. Ich verlieh Liquides bis zu den Herzögen und Königen hinauf, die mit meinem Geld Kriege finanzierten.

Als Sicherheit nahm ich Grundstücke und später Kupfer- und Silberminen. Damit stieg ich ins Münzprägewesen und Silberschmiedewesen ein. 

Ihr Zuger habt ja eure jungen Leute damals, nach der Reformation, nach Augsburg geschickt, um das Handwerk zu erlernen. Habt mir also Dank, bitte!!!!



Den Papst habe ich übrigens auch unterstützt und die Löhne der Schweizer Garde bezahlt. Natürlich konnten viele Geldnehmer ihre Schulden nicht bedienen, aber oft getrauten Banker, Gläubiger, nicht, ihr Guthaben einzufordern. Nun, das passierte mir natürlich nicht; ich mahnte sogar den Kaiser persönlich. Eine reichliche Portion Selbstbewusstsein war also nie schädlich und neben dem Risiko, das ich auch oft nehmen musste, ganz entscheidend: Verlässliche  Informations-

beschaffung. Ich baute einen eigenen Kurierdienst auf und erfuhr so Wichtiges (z.B. Untergang von Schiffen, Missernten ect.) vor allen andern und konnte so rechtzeitig in Geschäfte einsteigen oder Darlehen zurückziehen. Meine Kontrahenten, das Geschlecht der Welser, waren darin nicht so erfolgreich. Sie waren wahrscheinlich reicher als ich, gingen dann aber pleite. Alles weitere dazu im Fugger und Welser Museum.“

Der Regio-Fuggerexpress hat inzwischen die Ortschaften „Dinkelscherben“ und „Kutzenhausen“ mit Stopps beehrt. 


„Nun, Herr Fugger, Sie waren also der Oberkapitalist?“ „Genau: Ich hatte keine Ämter, aber: Geld regiert die Welt! Mein Einfluss war grenzenlos.“


„Ihr Name ist aber heute weniger wegen Ihres Reichtums, sondern wegen der „Fuggerei“ bekannt. Es sind heuer 500 Jahre seit deren Gründung und jährich besuchen ca. 200‘000 Leute die Institution.“ Fugger lacht auf: „Tja... Tue Gutes und sprich davon.“

„Details und Beweggründe?“


Der Zug fährt in Augsburg ein. Fugger steht auf. Er zieht ohne Antwort und Abschiedsgruss raschen Schrittes von dannen. Über die Schulter ruft er noch: „Ich muss zurück auf meine Wolke. Die himmlische Hackordnung ist dynamisch; auch da oben in stetiger Veränderung. Man muss seine Position verteidigen. Da ist Einsatz gefragt. Aber ich bin ja recht gut versichert. Fragen Sie Felix. 


Und weg ist Jacob Fugger.

Felix von „Via Augusta“

sorgt am nächsten Morgen für weitere augsburgerisch-fuggersche Erhellung. Ich erfahre aus den Römerzeiten, in denen Augusta Vindelicorum, gelegen an der wichtigsten Verbindungsstrasse (Via Claudia Augusta) nach Italien, sich dank des schiffbaren Lechs zu einer bedeutenden Stadt entwickeln konnte. 

Wir besichtigen den imposanten goldenen Saal im Rathaus 

und finden das Geburtshaus von Betchtold Brecht, das zwischen zwei Lechkanälen eingeklemmt ist.

Und jetzt: „Fuggerei“. Felix schöpft aus dem Vollen. Die Fuggerei ist eine Stadt in der Stadt. Hier dürfen seit 500 Jahren bedürftige Augsburger (katholische) wohnen. 

Die Jahresmiete beträgt symbolische 88 Cent. Der Betrieb und Unterhalt wird  immer noch aus den Stiftungen, die Jacob Fugger ins Leben gerufen hatte, gespeist. Sie ist die älteste soziale Institution der Welt, die immer noch besteht. Bravo Jacob!

Bleibt die Frage, wie das Streben nach Geld und Einfluss mit dem

sozialen Engagement Fuggers zusammengeht, schliesslich hat er ja auch Ausbeutung in grossem Umfang betrieben. (Minenarbeit ect.). Felix weiss die Antwort. Es waren Prestigeprojekte, mit denen sich die Reichen als Wohltäter schmückten und auch die damalige Ansicht, dass mitmenschliches Engagement einem angesichtes der vielen Sünden, die man angehäuft hatte, vor der Hölle retten würde. 

Als Quasiversicherung für sein Seelenheil, müssen die 150 BewohnerInnen der Fuggerei pro Tag drei Gebete für Jacob sprechen. Na das ergibt doch locker 450 Vaterunsers und Ave Marias täglich. Diese Dauerberieselung muss doch Gott gnädig stimmen?! 

Ich mache mich auf die Suche nach gebetsbeflissenen EinwohnerInnen. Zwei Damen kommen gerade vom Donnerstags-Kuchenkränzli zurück. Wir plaudern auf einem Bänkli. Ich bin beeindruckt. Aus ihnen strahlt grosse Zufriedenheit und Dankbarkeit. 17 und 18 Jahre seien sie schon hier zuhause.  „Wir sind wirklich glücklich hier; man kümmert sich umeinander. Und das ist nicht einfach so dahergesagt. Immer wieder laufen andere Bewohner vorbei. Es wird gewunken, gegrüsst... ein flotter Spruch ... eine Frage: „Alles ok... oder brauchst du Hilfe?“ 

Zeit zum Aufbruch. Ich bin irgendwie ganz heruntergefahren, ruhig, gelassen. Der Ort hat Strahlkraft.


Ciao Felix... danke für Deine Begleitung. 

Meine Stimmung zieht mich ans Wasser und das hat hier eine besondere Geschichte. Seit 2019 darf Augsburg sein jahrhunderte altes Wassermanagement mit dem UNESCO-Label schmücken. Im Infocenter lässt sich mit 3D-Brille das  ausgeklügelte System hautnah erleben. 

Jetzt möchte ich einfach  nur per pedes die Türme und Kanäle still erkunden. Mal  reissen die Wasser. Oliv.... grau.... gurgelnd. 

Mal ruhen sie zauberstill... malen Spiegelbilder von alten Zeitzeugen und spätsommerlich gefärbtem Gehölz. Es ist so gar nicht Stadt. Beschaulich.

Eigentlich ist es ein Tag des geschichtlichen Füllhornes und ich sehne mich - zwecks Verarbeitung - nach einem Biergarten. 

Doch zur Abrundung gehört noch das Textilmuseum. Die Stadt ist stolz auf ihre Tradition. 

In Nicht-Corona-Zeiten werden die alten Kolosse aus der Industrialisierung angeworfen. Das wird auch ein Lärm sein. Nicht mehr ganz taufrisch, lasse ich mich etwas treiben. 

Aber die Rundstrickmaschine „Victoria“ holt mich nochmal aus meinem mentalen Eindämmern. Was hätte die mir den vielen Ärger mit meiner Handarbeitslehrerin,  Fräulein Knüsel, erspart. 

Zwischen Nylons, 

Fadenspulen und 

Goldgewebe schlängle ich mich wieder an die Luft.

Augsburg, die Prächtige, die etwas Stolze, hat überrascht. 

Ich blicke nach oben:  „Hey Jacob.... du mit deinen freigebeteten Milliarden! Darfst jetzt richtig eifersüchtig schauen. 



Ich tauche ab in die Sünde!“

Käse-Spätzle.... Käse-Spätzle...

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Kommentare: 12
  • #1

    Sonja Wöss (Sonntag, 19 September 2021 08:16)

    Liebe Franziska,
    mit dir komm ich nicht nur in der Schweiz herum. Danke für deine amüsanten Geschichten, auch außerhalb der Grenzen! GLG Sonja

  • #2

    Georges (Sonntag, 19 September 2021 08:45)

    Ulm und Augsburg sind wohl eine Reise wert. Der nötige Background hast du gelegt.

  • #3

    Werner Weber (Sonntag, 19 September 2021 09:46)

    Liebe Franziska
    Ich war wohl 100 mal auf Geschäftsreisen überall in Deutschland und war im Glauben viel gesehen und gehört zu haben. So kann man sich irren. Danke für deine Fotos und amüsanten Geschichten.
    PS. Meine Vorfahren waren übrigens Seidenweber.

  • #4

    Dorte (Sonntag, 19 September 2021 10:24)

    Ich war mal geschäftlich in Augsburg und habe am Abend ein bisschen von der Stadt im Regen gesehen. Mit deinen Augen und bei schönem Wetter sieht alles anders aus. Sehr aufschlussreich, ich habe einiges verpasst. Liebe Grüsse

  • #5

    Annalies (Sonntag, 19 September 2021 10:54)

    Liebe Franziska
    Es ist einfach immer schön in deine Reiseberichte abzustauben und macht richtig "gluschtig" auch hinzugehen.
    Danke vielmals, in Erwartung des nächsten Berichtes grüsse ich herzlich.

  • #6

    Annalies (Sonntag, 19 September 2021 10:57)

    Natürlich ☆abzutauchen meinte ich.

  • #7

    Albert Müller (Sonntag, 19 September 2021 11:26)

    "Die Realität zuckelt" - da musste ich den DUDEN zu Hilfe nehmen: Also, die Wirklichkeit geht langsam, ohne Hast...Und die herrlichen Aufnahmen und Schilderungen: Herzlichen Dank!

  • #8

    Vreni Raemy (Sonntag, 19 September 2021 12:01)

    Liebe Franziska
    Tolle Fotos und wie immer ein spannender und detailreicher Bericht. Vielen Dank.

  • #9

    Maria (Sonntag, 19 September 2021 16:21)

    Schön von dir, so schöne Städte aus dem alten Heimatland in Wort und Bild kennenzulernen. Vielleicht sollte ich doch mal einen Abstecher oder Umweg machen bei der nächsten Heimfahrt?
    Merci!

  • #10

    Rena de la casa (Sonntag, 19 September 2021 18:07)

    Alles schon kommentiert, daher sag ich bloss: Dankeschön, Franziska!

  • #11

    Rena de la casa (Sonntag, 19 September 2021 18:10)

    Doch was vergessen: die Geschichte des reichsten Augsburgers hast du perfekt in die Neuzeit geholt!

  • #12

    Ueli (Sonntag, 19 September 2021 19:17)

    diese Fotos! (nicht nur die Käse Spätzle) so realistisch - ich wähne mich vor Ort!
    Dank dir!