SENS

Es gibt diese Tage, die schon im Voraus das Besondere zelebrieren. Das Sinnliche. 


Sie sind nicht per se anders, aber meine Antennen sind geöffnet, sensibel. Wieder einmal bin ich zu einem meiner Herzensorte gereist. Der Bürgenstock präsentiert nirgends diese exotische Welligkeit wie von der Gartenterrasse des Vitznauerhofes aus. 

Wenn Du Dich hier niederlässt, brauchst Du kein dolce Italia. Im mediterranen Park mit Schmiedeisenpergola und Gartenrestaurant au bord du lac, sitze ich in der ersten Reihe. Die Himmels- und Wasserakteure lassen ihren Dramaturgien freien Lauf. 

Mal schwarz und silouettenscharf; 

eine Stunde später Satin und Gold. 

Immer die gleiche Aussicht, immer variabel und zauberhaft. Ein wunderbares Vorspiel zum Morgen, das inzwischen Heute ist und das mich mit einer zarten Sinfonie in Rosa in den ersten schüchternen Stunden des „sinnlichen“ Tages empfängt. 

Die exzentischste aller Frühlingsblüten kurbelt mächtig an der erotischen Sensuality. 

Im Restaurant

„Inspiration“ lässt gelber Randen auf fech-pinkem Teich meine Sehnerven jubilieren. 

Derweil läuft am Nachmittag die schneeweisse Magnolie zur Hochform auf. SIE mit dem

Bürgi im Hintergrund: Das Motiv!

Aber was ist das? Der Computer meiner Kamera rechnet beim dritten Klick immaginär. Ich drücke. Was für ein Bild. Ohne mein Zutun. Wie soll ich das erklären, als mit der Tatsache, dass ich mich des Abends beim gourmetastischen Zauberlehrling des Jahres 2021 angemeldet habe, und in der Magie bleibt ja doch einiges dem Betrachter entzogen, unerklärlich. 

Um 19 Uhr treffe ich beim „Harry Potter“ der Michelin Sternewelt ein. Im SENS zaubert Jeroen Achtien, frisch mit zwei Sternen dekoriert. 

Anstelle der Hogwart Magierschmiede lernte er beim 3-Sterne „De Liberije“ in den Niederlanden und verteilte dort als Küchenchef den kulinarisch-interstellaren Feenstaub auf höchstem Niveau. Dank Raphael Herzog, dem innovativen Direktor des Vitznauerhofes, gelang es, den fliegenden Besen des Supertalentes an den Vitznauersee zu dirigieren, so dass wir uns nun in nächster Nähe den Gaumen verzücken können.

Das Lokal, das von den Zuger CSL Architekten konzipiert wurde, lenkt den Fokus auf das Wesentliche. Den See, die Lust am Wasser und der Kulinarik. Raum in klarer Formensprache. Himmelsfenster, eine Outdoorlounge und Gucklochoptik, für all jene Sinnlichkeiten, die wir uns hier erhoffen. 

Mit formidablem Blick auf die Wellen, beginnt meine Genussreise. Ein Röderer in Blush perlt im Glas. Auf dem Tisch wartet eine Platte mit einigen kleinen Pflanzenteilen. Meine Aufgabe: Mit einer Goldpinzette soll ich drei auswählen und auf eine kleine Schieferrondelle transferrieren. My choise: Vanille, Chilli und Himbeere. „Die Auflösung folgt später“, so die Bedienung mit sphärischem Lächeln, und sie entschwindet mit dem Tellerchen.

Es bleibt keine Zeit zum Rätseln: Der Meistro tritt mit einem Servierrollo heran. 

Natürlich von mir:

„Herzliche Gratulation zum 2. Stern. Wo haben Sie es denn erfahren?“ „Es kam, als ich in den Niederlanden weilte, ein WhatsApp mit einem Glückwunsch, aber ohne Erwähnung, wofür. Ich war ganz verwirrt und erst als ich zurückfragte, erfasste ich das Geschehen. Und dann war natürlich der Rummel los und ich völlig überwältigt“!

Nun aber zur ersten Pré-Vorspeise. Zelebriert vom Chef persönlich. Ein vertikal aufgebauter Eisbergsalat. In die Trickkiste hat Jeroen Achtien vor allem beim Ei gegriffen. Die Eidotter sehen aus wie prall getrocknete Aprikosen. 

Der Meistro kann sie allerdings raffeln und stäubt den Salatturm mit fröhlichem Gelb ein. Ganz verstanden habe ich den Herstellungsprozess nicht, aber eben: Für mich ist es Zauberei und meine Geschmacksnerven erleben Sekunden später den ersten Serotoninschub. 

Die zweite Vor-Vorspeise kommt im pechschwarzen Kleid. Essbare „Kohle“ mit orangetoniger Mousse-Füllung. Ich muss  bezüglich der Inhaltsstoffe schon früher als erwartet, die Segel streichen. Zugegeben, ich habe nicht mit einer derartigen Vielfältigkeit von Ingredienzien gerechnet. Den Gedanken, alles zu notieren, werfe ich schnellstens über die Reling. Genuss first!! 

Und das gilt auch für die Mini-Eiscornettos mit Brokkoli Deko.

Bevor ich mich überhaupt für eine Menuvariante entscheiden muss, lerne ich nun mit dem dritten Pré-Opening, wie sich ein Oktopus in einen Schneesturm verwandelt. Der Achtarmige wurde gekocht und geräuchert, so dass er sich abra kadabra in einen dry aged Tintenfisch verwandelte. 

Dessen Tentakeln werden nun bei Tafel an einer Raffel als luftiger Schnee über ein Knoblauchchips mit Füllung samt Indigoblüten gerieselt.

Snowy Octopussy: Eine Versuchung wert. 

Die Entscheidung naht: Wieviele Gänge soll ich bestellen? Angesichts der bereits auftretenden Dehnungssignale aus der Magengegend, wähle ich die kleinste Variante: 5 Gänge. Oder hätte ich doch grösser denken sollen? Würde ich etwas verpassen? Immerhin: Das  kleine Fingerfoodsandwich mit Käseeinlage: Ohhhh.... so unschuldig liegt es da vor mir: Aber im Gaumen: Überraschung: Der Hexenspruch lautete wohl: „Reductio!“

Derweil kuschle ich mich in die Weinkarte. Weinbegleitung wäre natürlich auch möglich. 

So werden edle Tropfen meine Accompagnés sein und ebenfalls werde ich ab sofort von knusprigstem Sauerteigbrot escortiert. Irgendwelche mystischen Mächte haben da noch eine süchtigmachende Haselnussbutter dazugestellt. Gegenwehr zwecklos. Ich verfalle.

Es geht los:

Der erste Teller erscheint. Darauf leuchtet ein schrillgelbes Warndreieck und in meinem inneren Ohr  haucht eine occulte Stimme: „Duuuu irdisch kulinarisch Beschränkte!!! Bist Du bereit, durch diese 

addictiöse Pforte zu schreiten, die Dich in die dritte Dimension des Essens führen wird? Du handelst auf eigene Gefahr!“

Es gibt kein Zurück. Meine Gabel touchiert wie von fremder Hand geführt bereits die Seduction des Willisauer Saiblings. Wo der genau badet, erfahren natürlich nur die süchtig Suchenden. Eines sei verraten: In dem Gericht ist der gesamte Fisch verarbeitet. So geht „avoid foodwaste“!

Aus der Schatulle der Aphrodisiaka folgen schaumbedeckte Austern die der köstlichen Verschlürfung sehnen.

Ich komme kaum dazu, das um mich herum, ebenfalls schwelgende Publikum, zu observieren;

schon flösselt eine Zander-Moutitaler-(fermentierte)-Speck-Komposition auf türkis-bronzener Schale heran. Mein Lieblingsgang.  

Dazu ein kleiner Fischcake getoppt mit Kapuzinerkresse. Ich bin erleuchtet und das nicht nur gastronomisch. 

Die Sonne gibt ein spektakuläres Farewell. 

Mit lucidem Blick strahlen mich danach als Erfrischungsintermezzo die Karottensorbets in geeisten Passionsfruchschalen an, welche meinen heissgelaufenen Verdauungssäften entspannende Kühlung verschaffen.

Damit bin ich wieder voll aufnahmefähig, als das 9-jährige Weiderind vom Uelihof geritten von Fischrogen bei mir antrabt. Eine Leckerei.

Als Hauptgang lassen die Merline der Küche eine schmelzzarte Taubenbrust auffliegen. Der an Kalk-Klippen erinnernde Teller fängt die drei verschiedenen Saucen auf. Drei Elixiere, die sich - magisch - nicht vermischen werden. 

Ein interessanter Gang, jedoch wenn auch schon in stratosphärischen Lobeshöhen angelangt, etwas zu gross und bei den Sides optisch vielleicht nicht jedefraus Sache.

Komplett en amour gerate ich bei dem auf das Finale zuschwebende Dessert. Harry Potter hat alle Elfen des Universums herbeigerufen. Die filigranen Libellenflügel umzirren ein extatisches Mousse aus Ananas 

während Stücklein der Exotin daneben auf heisser Kohle mit süssrauchigem Dunst die Nase kitzeln. 

Und als wäre das nicht genug, lockt eine Mangonocke mit japanischem Chilli. „Sünde, wie bist Du schön!“

Und zu guter Letzt natürlich die Auflösung des Eingangsrätsels. Mein Plättchen mit den gewählten Zutaten ist zurück. Nicht allein.

Aber „Simsalabim“, wenn ich eines über das Zaubern weiss: Man sollte der Magie das Geheimnis nicht stehlen:


Come and see!!! oder suche in Jeroens Achtiens Kochbuch nach seinen gastromomischen Secrets.

Mein Zauberwort sei jedoch verraten:

„SENS ationell !!!“

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Kommentare: 13
  • #1

    Pascal Locher (Montag, 05 April 2021 16:26)

    ... auch SENSationell geschrieben.

  • #2

    Ruth und Werner (Montag, 05 April 2021 16:30)

    Vom Anblick der kulinarischen Köstlichkeiten sind wir bereits satt geworden und kitzeln unsere Magenerven mit getütschten Ostereiern. Herzliche Ostergrüsse vom Eschenring!!!

  • #3

    Maria (Montag, 05 April 2021 17:03)

    Super, alles , die stimmungsvollen Bilder zu Beginn,Sensationell

  • #4

    Irmgard aus Walchwil (Montag, 05 April 2021 17:58)

    Hach, diese sinnlichen Gaumenfreuden, ein wahres Feuerwerk der Genüsse! Da habt ihr euch aber ein tolles Erlebnis zu Ostern gegönnt. Einfach
    wunderbar. Ich träume noch lange nach dem Lesen von diesen sinnlichen Eindrücken. Vitznauerhof ich komme...!

  • #5

    Georges (Montag, 05 April 2021 18:18)

    auffallend, außerordentlich, beeindruckend, bewundernswert, eindrucksvoll, einmalig, erstaunlich, fabelhaft, großartig, herausragend, hervorragend, imponierend, imposant, ohnegleichen, aus dem Rahmen fallend, sagenhaft, spektakulär, überragend
    Alle diese Adjektive beschreiben das Wort sensationell...

  • #6

    Roland (Montag, 05 April 2021 18:51)

    wow, das hast du dir aber wirklich verdient gehabt! super lecker und die beschreibung; top, wie immer! weiterhin schöne ostern! glg

  • #7

    Herbert (Montag, 05 April 2021 18:53)

    Herrgottt... göttlich... himmlisch...

    Gab‘s auch einen feinen Wein dazu... einen Franzosen oder Italiener...?

  • #8

    Albert Müller (Montag, 05 April 2021 18:54)

    Du hast eine mir wohl bekannte Landschaft am Ländersee gewählt - mit dem markanten Mattgrat und Bürgenstock und "Sonnen-Feuerwerk" - dazu x-Gänge mit "Reductio" auf 39 (!) herrlichen Aufnahmen...ich begnügte mich mit einem Osterhasen...
    Albert vom Nachbardorf Gersau

  • #9

    Sonja Wöss (Montag, 05 April 2021 20:49)

    Danke für die überaus eindrücklichen Genüsse und den anregenden Lesegenuss...!

    Liebe Grüsse, Sonja Wöss - Oberägeri

  • #10

    Annalies (Mittwoch, 07 April 2021 09:19)

    Ein Ausflug ins Land der Träume, der nie zu Ende gehen sollte. Weiterhin sinnliche und schöne Erlebnisse wünsche ich allen.

  • #11

    Rena de lacasa (Donnerstag, 08 April 2021 19:18)

    Du nimmst uns mit zum Fest der Sinne: grazie mille, cara Francesca!
    'Umami' heisst ein Zauberwort, hast du die fünfte Knospe des Geschmacks heraus getüftelt?

  • #12

    Colette (Mittwoch, 14 April 2021 14:50)

    ����� ich kann nur noch träumen... sensationelles Menu sensationell be/geschrieben...
    Danke �

  • #13

    Thea (Samstag, 17 April 2021 14:52)





    Einmal mehr bin ich überwältigt von deinem exklusiven und einmaligen Wortschatz. Deine Berichte beeindrucken mich ausserordentlich. Ich freue mich auf die nächste Ueberraschung. DANKE