Lady Singapur

Ich liege auf der Gartenterrasse des ehrwürdigen Fullerton-Hotels. 

Ein Hauch von schlechtem Gewissen breitet sich auf dem weissen Frotéetuch aus, das mir der Poolboy soeben ausgebreitet hat. „Jetzt bist Du doch endlich in dieser vibrierenden Stadt. Da gäbe es  noch so viel in Singapur zu sehen. Und jetzt faulenzt Du auf einem Sonnenstuhl. 

Die Selbstinterrogation mündet ohne Response  in einem Halbschlaf. An mir ziehen die Bilder der zurückliegenden Reise vorbei... und dabei sind besonders viele, die am beim Einnachten oder am Abend aufgenommen wurden. 

Wollte ich das Banale, 


das Dürftige, 

das Arme,  

das Kühle 

ausblenden?

Ich habe dies alles wahrgenommen, an mich herangelassen; aber der Prozess der nächtlichen Verwandlung ist, was mich immer wieder fasziniert. Dieses Verschlucken des Alltäglichen, Imperfekten.

Wie die Rücklichter der Mopeds in Saigon nach Sonnenuntergang plötzlich zu glänzen beginnen 

wie indischer Silberschmuck mit bunten Steinchen und Pailetten.

Die am Quai liegende Barke erscheint wie aus einem Fairytale,  wenn sich ihre Segel  im Scheinwerferlicht verfärben.

Auf der Rooftopbar des Majestic in Saigon besingen zarte Mädchen die noch junge Lotusblütennacht 

Der düstere, ausdruckslose Fluss wandelt sich im Dämmerlicht zum edlen Band, in dem sich der Perlmuttmond verliert 

Der Bexio-Tower tauscht seinen kühlen Mix aus Glas und Stahl in eine Lichterstakete, die erst in der Galaxie enden möchte.

Auch Hanoi, das mein architekturaffines Auge anlässlich  der Durchfahrt bei Tage nicht bezirzen konnte, gibt sich plötzlich als Dame im Boudoir, in einer Ankleide, in der Frau sich ins rechte Licht wirft. 

Vor der blauen Stunde hatten mir diese Lokationen noch kein „Ohh“ entlockt, doch jetzt gibt sich das Quartier rings um den See leidenschaftlich, wenn die kleine Bücke über der schwarzen Wasserfläche glüht und der Schein in die zitternden Wellen ein „Orange fatale“ zaubert,

das sagenumworbene Türmchen goldgelb mit der Leuchtreklame wetteifert. 

Manch abgeschabten Wände im Lichtschein dem Betrachter schmeicheln

und verschlossene Pforten locken, nur geheimnisvoll andeutend, was sie wohl 

zu verbergen hätten.

Ich erwache. Alle Gäste sind verschwunden. Herjeh schon fünf Uhr. 

Der berühmte Merlion steht bereits im Wolkenschatten;

die Kinder der Skulptur „First Generation“ wagen noch vor der Finsternis einen imaginären Sprung ins Wasser. 

Jetzt treibt es mich auf die Gassen. Das kühle Singapur, Lady Singapur,  erwacht. Sie lässt die Dunkelheit wie ein schwarzseidenes Negligée über ihren urbanen Body gleiten, das ewig lockende Spiel von Verhüllung und Attraktion beginnend. 

Die korinthischen Kapitelle  getaucht in „Rosso Appassionata„    wirken wie edle Embroderie an ihrem nächtlichen Kleid.  

Die kleinen weissen Brücken geben sich im kecken Neonviolett als wären sie die säumende Bordüre.

Das Siencemuseum mimt ihren Champagnerkelch;

Ihr oppulenter Duft stammt aus dem arabischen Viertel.

Ich schlendere durch den historischen Teil am Fluss. Heute ist Streetart- Festival. Hier feiert Lady Singapur in Cocktaillaune. 

Illuminationan an jeder Ecke, 

Mustermix kleidet die Fassaden

 entführt nach Colormania.

Alchimistengrüne Kuppel koketiert mit Fuchsia-Akazie.

Türme verwandeln sich in Projektionsflächen. 

Eine Streifentreppe sucht Statisten. 

Der Sprudelbrunnen will sich nicht mit einer Farbe begnügen

und stellt auf 15 Sekunden Intervall. 

Als Strassenpiratin gelingt es mir, eines der raren Touristenboote zu entern. 

Heureka... wir fahren in die Marina Bay. 

Und 

Madame Singapur hat noch nicht genug :

Der Starflyer glänzt wie ein Armband aus Diamanten. 

Pastellgrün und rosapeach tanzen die Fontänen im Takt der Walzer. 

Versprühen ihr irisierendes Temperament. Strotoskope lassen Sternen regnen, die glitzernd in die Wellen sinken. 

Das verdient noch einen Abschluss-Sling. 

Aus der Bar am Dock dringt die samtene Stimme einer Sängerin. Ich lasse die Gedanken in all den Farberebnissenden, den Spektren, dem Glanz und der Musik treiben. 

Der Abend hat rundum glücklich gemacht. 

Ich stehe auf. Noch ein letzter Blick zurück.


Da blitzen die grünen Laser auf. Kippen auf und ab. Wie grosse Wimpern, als würde mir „Lady Singapur“ noch ein letztes Mal zublinzeln:

„Hey Francesca. Wenn Du wieder kommst. Zieh das kleine Schwarze an. Wirf Dich in Glitzer.

Ich werde die Falten eines Kleides aus Blue Velvet über mich fallen lassen. 


Und wir tanzen auf Funkelschuhen durch die illuminierte Nacht.“

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Kommentare: 5
  • #1

    Cornelia (Sonntag, 02 Februar 2020 23:04)

    Nice ! Glitzer Girl.

  • #2

    Maria (Montag, 03 Februar 2020 16:02)

    Super!

  • #3

    Georges (Montag, 03 Februar 2020 18:27)

    In der Nacht erstrahlt eine neue (Schein-)Welt.
    Verzaubert und verändert.

  • #4

    Albert Müller (Dienstag, 04 Februar 2020 10:48)

    Am Anfang und Ende: Ein mit Edelsteinchen besetzter Frauenschuh: JIMMY CHOO - und dann 42 beeindruckende Bildaufnahmen! DANKE

  • #5

    Rena de la casa (Donnerstag, 13 Februar 2020 18:21)

    Farben explodieren- Francesca erlebt das, mittendrin! Herrlich!
    Und, hast du die glitzernden Schuhe 'poschet'?