Der Fluch des Chaya Phraya

„Lange Zeit her!

Du hast dich doch versöhnt 

.... mit diesem Fluss, dem Chaya Phraya von Bangkok“, flüstert es in mir. „Mit dem, was er damals angerichtet hatte. Als mein Vater seinen „Zweiten Tod“

starb...Vor gut 48 Jahren...“


Ich weiss es nicht mehr genau.

Ich habe es ausgeblendet

Musste es ausblenden.



Er, mein Vater, war aus meiner Sicht schon einmal gestorben. Als er ging. Mir nichts erklärte, sich nicht verabschiedete. Man mir (7) out of the Blue sagte:

 „Dein Vater kommt niemals wieder!“

Wie ich damals meine Augen in die ausgefransten Fasern des bleichgrünen Schlafzimmerteppichs meiner Eltern grub, mich versuchte optisch daran festzukrallen. Um stehen zu bleiben. Erst Stunden später, erfuhr ich die Wahrheit. Er war ausgezogen. 

What did the difference? In diesem Moment. Er hatte keine Worte für mich gehabt.



Es verging vielleicht ein Jahr, 

vielleicht waren es zwei Jahre.


Ich weiss es nicht mehr. 

Ich habe es ausgeblendet.

Ich musste es ausblenden.


Ich ging zur Schule. Neustadt. Wie immer beim Kiosk der Aushang der Boulevardzeitung BLICK: „Schweizer in Bangkok auf Ausflugsschiff umgekommen“. Ich wusste, er war in Bangkok. Am Mittag erfuhr ich es. Es war sein Boot, ein Longttailboat. Ein Motorboot war mit hohen Tempo aus einem Seitenkanal geprescht und mit  voller Wucht in das Schifflein hineingekracht. Die Passagiere fielen schwer verletzt ins Wasser. 

In diese braune Kloake. 


Es habe viele Tote gegeben.


An diesem Mittag starb er für mich das zweite Mal.


Am Abend kam die Nachricht. Er liege schwer verletzt im Spital; seine Begleitung war umgekommen. 

Mein Vater schaffte es zurück ins Leben; aber die Auswirkungen des Unglücks warfen noch ungleich längere Schatten. Er, dieser Fluss, hat das eh schon labile Gefüge unserer Familie durcheinandergebracht. Menschen mussten Verantwortung übernehmen, die das so nicht gesucht hatten. Und für mich war der Vater noch entrückter. In seiner Trauer, in seinem fernen Blick.


Ich ging bis zu seinem dritten(wirklichen) Tod 2008 nie nach Thailand. Aus Respekt vor seinem dunklen Herz. 

Aber danach schon. Ich stieg in ein solches Boot. Ich nahm einen weissen Blütenkranz mit. Ich warf diese porzellanweissen Blüten in diesen dreckigen Strom. Als Versöhnung mit allem, was dieses Unglück verusacht hat. Die Orchdeen floateten davon. Ich sah in der Ferne, wie sie von Wirbeln heruntergezogen wurden. Der Phraya hatte sie aufgefressen. 

Und nun stehe ich wieder an der Kante. Ein mulmiges Gefühl überkommt mich.


„Was ist denn? Ein ganz normales Boot.

Es ist lange her.

Du hast es ausgeblendet.

Du musstest es ausblenden.“


Es geht los durch die wellige Brühe. Wer da nicht präzies schnell manövrieren kann, ist verloren. Die Schiffe kreuzen in wildem Chaos; das Wasser spritzt.

Etwas gemütlicher ist es im Klong. Wir sind schon weit vom Hauptfluss entfernt.

Plötzlich: 

Der Motor stockt.

Der Motor hustet.

Der Bootfsührer nestelt an den Gewinden herum.


Ahh...jetzt läuft es wieder. 

Vollgas.

Der Motor stockt

Der Motor hüstelt.


Ich schaue zurück. Der armweittätowierte, glatzköpfige Mann, der gerade mit seiner Freundin eine lautstarke Beziehungskiste ausgefochten hatte, grinst mich an: „Now worry... er macht nur Show.“

Es läuft wieder. Einige Meter.

Dann würgt der Ton ab.


Wir treiben... treiben.

führerlos.... wir treiben


Auch die jungen französischen Rucksacktouristinnen auf dem Vordersitz äugen besorgt nach hinten. 

„Q’est qu’ il ya?“

„Il y a langsam ein gröberes Problem.“

Die Werzeugkiste wird konsultiert, Öl geträufelt...Schrauben angezogen...


Wir treiben.... wir treiben.

Führerlos... wir treiben.


Ein Versuch

Ein weiterer

Ein weiterer.

Wir brauchen Hilfe. 

Wir winken.

Wir rufen „Help“!!!!


Die andern winken auch. 

Sie schreien „Have fun“ !!!

und rauschen vorüber

Was uns wieder arg ins Wackeln bringt.

Endlich steuert ein Schiff Backboard. Die Führer reden miteinander. Gestikulieren.


Der andere ist von der Konkurrenz. 

Er will nicht helfen.

Er legt wieder ab.

„Seine Gäste grinsen: „Have fun!!“

Schliesslich ein chinesisch stämmiger junger Boatdriver. Er fährt heran, bindet die Boote zusammen. Er  zückt ein Über- brückungskabel, 

Hilft nix. 

Ich schaue auf die Uhr. Es wird knapp. Ich muss vor dem Nachmittagsstau aus der Stadt sein, sonst erreiche ich meine Silverseas nicht mehr. 

Jetzt sind die Zündkerzen drann. 


Wir treiben... wir treiben.

Führungslos.... wir treiben. 


Nach 40 Minuten hustet sich endlich  der Antrieb hoch.

Singt sich in die höchsten Töne.

Der Chinese legt ab.“ „Good luck“!

Wir fahren... 

eine Minute...

die Motorengeräusche stottern, würgen.


Wir treiben... treiben.

Führerlos.... wir treiben.


Jetzt nahe am Phraya-River mit seinem hektischen Schiffsverkehr.


Mein Vertrauen in das Getriebe ist dahin. Er wird doch wohl nicht in den Fluss einbiegen. 

Noch ein Try...Tatsächlich, das Boot biegt in den Strom.

Wir sind wieder auf Speed

aber wenn jetzt der Antrieb aussteigt; 

Wir könnten nicht reagieren.

Mitten im Wahnsinn des Phraya. 

Wellen schwappen über die seitlichen Plastikplanen. Gestreift

Gelb, Rot, Blau, Grün.


Eine Fähre zielt genau auf uns zu. Eine grosse. Wenn jetzt unser Tempo zusammenfiele.... sie könnte nicht ausweichen. 

Sie kommt näher

näher

unser Motor stockt

stockt.

sie kommt näher

näher.

In mir läuft der Film ab.

Die Titelseite des BLICKS.


Dann ein Aufheulen.

Wir zischen ab, nach vorne.

Mein Puls erholt sich.

Alles gut gegangen.


Minuten später stehe im am Quai.


Ich blicke auf das schlammige Reissen. 

Waren meine weissen Blumen nicht genug? Das letzte Mal?


Ich wende mich ab.

Vielleicht genügt es nicht, einen Blumenkranz zu werfen?


Jetzt weiss ich es genau. 

Ich will es nicht mehr ausblenden. 

Die weissen Blumen treiben jetzt auf dem ruhigen Wasser meiner Seele.