Creole Creole

„Sie müssen unbedingt in der letzten Oktoberwoche wiederkommen.“ In Mr. James Stimme schwang eine Art verpflichtende Eindringlichkeit.

„Wissen Sie, das Créole Festival ist eine besondere Zeit. Die ganzen Inseln der Seychellen stehen Kopf. Der Umzug durch die Stadt. Die Strandevents mit einheimischen Spezialitäten.“

Das tönt verlockend.


Und nun bin ich da: 

Es ist Ende Oktober. 

Voller Enthusiasmus informiere ich mich bei diversen Einheimischen. 

„Créole Festival?“ Ich ernte verwirrt verunsicherte Gesichtsausdrücke und Antworten wie: „Ahh ... ja... Veranstaltungs-Programm... hmmm.....ja ist irgendwas los.“  Viel konkreter wird es nicht. Bei Alain, einem hier geborenen Franzosen, tönt es sogar radikal: „Kompletter Schwachsinn!!! Ein „Furz“ der Regierung. Ein der Bevölkerung aufoktruierter Event, der gar nicht viel mit den Einheimischen zu tun hat. Billig, billig!!! Man will sich auf der Weltkarte etwas wichtig machen. Quasi als Bewahrer der weltweiten kreolischen Kultur.“

Ganz anders sieht das die einheimische Monica, die Servierin im BRAVO. „Klar, da musst Du hin. Streetparade.... funny.... aber Sonnenhut und leichte Kleidung mitnehmen.“ Es wird warm und überfüllt.“ 

Monica posiert gerade mit dem Team „Carribien Vibrations“. Die drei von Ottawa angereisten Fernsehproduzenten (mit elterlichen Wurzeln auf Antigua und Barbados) drehen hier für ihre Samstagsshow im Kanadischen Fernsehen einen Bericht über das lokale Geschehen auf Mahé, Seychelles. Ihre Sendung habe vorwiegend kreolische Themen zum Inhalt, weshalb sie auf der ganzen Welt unterwegs seien. 

Das bringt mich langsam aber sicher zur Gretchenfrage, was genau „Créole“ bedeutet. Wie durch Zauberhand treffe ich bei einem Apéro ausgerechnet die Lehrbeauftragte für kreolische Kultur der Universität Seychellen. „Créole ist stets eine Mischung von Rassen. Durch die Kolonialisierung bedingt, fast immer europäischer Einfluss (ja die Entdecker waren keine Verschmäher), der sich mit der indigenen Bevölkerung vermischte. Diese Kinder hatten wegen der Hautfarbe jeweils nicht die Privilegien der weissen Väter. Sie wurden als minderwertig eingestuft und ausgenutzt. 

Verbindend unter den kreolischen Völkern ist die Sprache, die sich stets an die Sprache der jeweiligen Kolonialisten anlehnt. In den Seychellen Französisch gemischt mit afrikanischen Ausdrücken. Wogegen man die Menschen aus Mauritius weniger gut verstehe, weil die Sprache stark von den indischen Einwanderern mutiert wurde. 


Trotz der divergierenden Ansichten betreffend  die  Wichtigkeit der Kreolischen Woche, bin ich nun neugierig. 

Würde Paul, mein Driver, mich rechtzeitig, zum Umzug führen?

„Oh, Madame, keine Chance, ich fahre morgen für den Kulturminister der Malediven, der Gast der Regierung ist.“ Er grinst und präsentiert mir sein nagelneues Blaulicht, das, so vermute ich, für private Autos in gouvernaler Mission zugelassen ist. Offenbar muss Paul auch noch das ministrale Tempo üben. Er prescht mit mir gerade im Affenzahn über die steilkurvige „La Misère“ und ich klammere mich:

An den Türgriff,  

an eine Hoffnung und 

an einen Gedanken: 


1. Dass der Name der Strasse nicht Programm sei und zweitens an mein Wissen, dass Paul früher Polizist war.



Wie auch immer meine „Jours créoles“ aussehen werden, ich lasse mich nun einfach überraschen. Die erste Surprise  folgt gleich im angesteuerten Restaurant:

Zur Eröffnung des Festivals gibt es ein spendiertes landestypisches Dessert.

Es sieht aus wie ein körniges Mousse, was ich allerdings als caramelisierte Kokosnussraspeln vermengt mit Bananenmus entpuppt. Mein Tasting fällt positiv aus. La Créolité nähert sich;  leise aber stetig.

Für den Eröffnungsmorgen empfiehlt Mr. James in einem spontanen Mail den Besuch der Hauptstadt Victoria. Da sei „Animation“; also richtig was los. Ich fahre also in die Stadt. Das mit der Umtriebigkeit  trifft voll und ganz zu, allerdings eher vor dem Bankomaten. Gestern war Zahltag. Lange Schlangen. Auf dem Markt ist es auch voller als sonst. Jedoch busines as usual und der Red Snapper liegt auf den Tischen in seiner letzten Schnappung.

Von Créole weit und breit nichts zu sehen. Um 15 Uhr holt mich Mr. James ab. Rundfahrt mit Créol Dinner. „Na wie war es in Victoria?“ fragt er gespannt. Ich halte mich an die Wahrheit und setze ein strahlend-begeistertes Lächeln auf. „Nun, es hatte wirklich viele Leute.“ Das scheint zu genügen. Mr. James schmunzelt. Er konzentriert sich jetzt auf den Verkehr. 

Es geht zum wunderschönen Strand Port Launier. Nichts deutet hier auf Party hin. Die Kinder geniessen die Schaukel am Takamakabaum. Friedlich. Später entlang der Westküste, die sich gerade in der untergehenden Sonne vergoldet: Nichts aussergewöhnliches.

Aber aussergewöhlich ist es trotzdem. Einfach wunderschön!!

Nach der Dämmerung endet die Fahrt im „Maison Marengo“. Typisch Créol Dining. Innen oder draussen?

Ich trete ein..... und stehe in einem eigenartigen Setting. Herumgeworfene Damen Highheels, wild ineinander verhedderte hochglitzernde Abendroben an einer fahrbaren Garderobe. Mittendrinn 4 junge Damen, die sich gerade umziehen. Ich spreche Sie mit Erleicherung an: „Ohhh Vorbereitung für das Créole Festival?“ (Endlich ich bin im Festval angekommen, denke ich). Doch die Demoiselles  schauen mich entgeistert an.  „Was Festival? Mais pas du tout! Das ist ein Modeshooting für festliche Mode. „Ahhaaa... Pardon“. Ich verlasse schnellstens das Zimmer. Peinlich... peinlich. Ich betrachte die Préparation nun lieber aus gartenmässiger  Distanz und amüsiere mich.

Mit grossem Sebstbewusstsein zwängt frau sich in Pailletten-Schläuche jeglicher Couleur, um nachher unter dem Türrahmen stolz hervorzuprommenieren, das Bein keck durch den hüfthohen Schlitz durchblitzen lassend. Dann in Pose unter den Kronleuchter. Die Fotografin knipst im Multpicture-Modus. Gibt Anweisungen: „Arme hoch... Profil... Bein anwinkeln.... Die Ladies geizen nicht mit Reizen. Kim Kadashians Po ist zum Vergessen. Nur dass auf der Gegenseite ähnliches auf Bauchhöhe hervorrollt.

Zusammen mit dem opulent gefüllten Decoltée ergibt die optische Topografie eine veritable „Tremola corporale“.  Busen, Bauch und Füdli gehört hier einfach auch schon bei vielen Jungen zum Standard. Zusammen mit der herzlichen Ausstrahlung. 

Jede Lady punktet.

Aber eine Dame stielt trotzdem

allen die Show. Eine hochgewachsene grazile Nofretete. 

Ihr Kleid: Fliessendes Metall. 

Ihr Auftreten: Augenweide.

Inzwischen wurde die Speisekarte verteilt. Ich glaube Mr. James würde es nicht verstehen, wenn ich nicht die „Creolische Platte“ bestellte. Mindestens zwei Mal hat er schon das Octopus-Curry empfohlen. Ich mag diese gummigen Ringe nicht, aber bei meinem Teller sind auch andere Spezialitäten dabei. Hoffnung.

Das entspannte Servicetempo gibt mir nun Musse, mich der Liveband zuzuwenden, die sich mittlerweile eingerichtet hat. Die gewaltige Stimme der jungen Sängerin nimmt mich gefangen. 

Wenn Sie die Fäuste ballt, die Arme an den schlanken Körper zieht, sich zusammenkrümmt, das Miktofon fast verschluckend, um ihre virtuose Klangfolge in die Nacht zu entlassen. Eine insularische Adèle. Lied um Lied entgleitet in die Palmenwipfel bis das Tellegeklapper mich zurückholt. 


Octopussy tentakelt nach mir. Mr. James beobachtet mich aus den Augenwinkeln. Es gibt kein Entrinnen. Ich koste: “Hervorragend!“. Mr. James strahlt. Die Musik ist gartenfüllend. Er schickt mir ein Daumenhoch und eine schneeweisse Zahnreihe. Damit habe ich den Calamares-Test bestanden, und ich kann für den Rest zum Salatblatt-Trick greifen. So verschwinden die tintenfischigen Rondellen flupps unter dem Grünzeug. Dabei möchte ich aber nicht unerwähnt lassen, dass das Curry an sich formidable zubereitet ist und mich zusammen mit dem Reis in gaumentastische Geschmackswelten entführt. 

Die laue Nacht, die funkelden Sterne, die Musik.... sie laden zum Tanz. Das sehen auch die Kellner und Kellnerinnen so und sie rocken spontan den Dancefloor, was natürlich jegliche Zahlungsversuche im Keim erstickt. Erst als der Pinanist  sein Instrument zusammenpackt, wird l’addition wieder zum Thema. 

Mr. James ist sich inzwischen ganz sicher, dass einer Höhepunkte des Festes, die Parade, am Samstag Nachmittag stattfinden wird. 

Pünktlich um 14.30 finde ich mich in Victoria am Besammlungspunkt des Umzuges ein. Stolze 26 Wagen haben sich formiert. Es siehst aus wie an einem dörflichen Fasnachtsumzug. Viel Bastelei und Improvisation. Aber zumindest die Choregrafie sollte stimmen. Deshalb wird noch am letzten Feinschliff geübt. Die Batmans im Feldermausköstüm lassen schon mal zu fetziger Musik die Zöpfe

tanzen.


Die Gäste aus La Réunion setzen ganz auf:


Eleganz




Erotik



bunte Fröhlichkeit



Goldpuder



und Augenzauber

Der indische Bevölkerungsteil der Seychellen, obwohl nicht kreolisch, aber macht ja nichts, schickt tanzende Mädchen auf den Umzug, 

die von einem Trommler auf Takt gehalten werden. 

Gleich um die Ecke, warten geduldig ganz exotische Trachtendamen. „Woher seid ihr?“ „Südkorea“, flötet die Angesprochene. Meine Verwunderung wird sich wohl wie legen. Was machen die hier?

Der originellste Wagen nimmt sich den Menschenfressern an. Ein Riesentopf auf „Feuer“. Darin schmoren kleine Mädchen, die ihre wuscheligen Köpfe herausstrecken, um gleich wieder theatralisch abzutauchen. 

Die „gekochten Girls“ scheinen ihre Rolle ässerst zu geniessen.

Sehr befremdlich dagegen der Wagen (der Schönste und Aufwändigste)  mit dem Thema: „Schutz der Ozeane“. Ausgerechnet jene Firma, welche vor der Küste der Seychellen das Meer mit Schleppnetzen leerfischt, tritt hier als Sponsor auf. Das nächste Bild ist meine Botschaft.

Weiter hinten möchten die Teilnehmer einmal alle Probleme vergessen. Blumenbunt hüpft die Gruppe 

und die kunstvoll geflochtenen Hüte aus Palmblättern sind der Hingucker. 

Nicht mehr lange  muss der Minister aus den Malediven auf seine Delegation warten. 

Seidenes Rot umwindet die Köpfe der jungen Männer;

die Hände markieren den Takt der Schritte.

Auch die Ladies vom Wagen 26 sind schon in die Gänge gekommen.  Das Hotel Ephelia hat Hotelpersonal geschickt, das sich mottomässig den Vorzügen der Kokospalme widmet.

Die temperamentvollen Damen lassen in ihrem Palmkleidern ihre Hüften kreisen.

Währenddessen formieren sich die Jugendlichen aus Mauritius gerade zum Erinnerungsfoto. Die landestypische Kleidung ist mir noch von meinem Besuch 2007 in Erinnerung.

Den Frisurenwettbewerb würde übrigens meiner Ansicht nach „Rasta in Blue“ gewinnen.

Eine Trillerpfeife ertönt. 

Cortège Marsch! Die Kolonne rollt an. Die DJs auf den Wagen geben alles.

Die Strassen sind dichtgesäumt.

Viele Einheimische aber auch Touristen. 

Alles sehr geordnet.


Das Publikum ist gespannt



oder auch nur gechillt



Man fotografiert das Geschehen



oder Freunde.



Verdrückt eine Tüte Chips und staunt 



oder staunt einfach allein.

Nach 1 1/2 Stunden sind meine Erlebnisspeicher voll. 


Noch zum Fest hinter dem Fussballstadion?

„Non Merci“  Weitere expériances créoles werden sicher in Zukunft folgen. Aber für den Moment bin ich in der Hitze nudelfertig aber doch sehr zufrieden. Monica  hatte recht: Da muss man einfach einmal hin. Zum Umzug. 


Es war ausgelassen, fröhlich,

augentastisch

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Kommentare: 5
  • #1

    Vor (Donnerstag, 31 Oktober 2019 16:39)

    Sehr schöner, heiterer Bericht mit interessanten Fotos!
    Genieße es. Herzliche Grüße C&T

  • #2

    Hansueli Maerki (Donnerstag, 31 Oktober 2019 17:53)

    Enjoy the sun and the Creole!!!

  • #3

    Albert Müller (Donnerstag, 31 Oktober 2019 22:41)

    Wahnsinnig - nicht nur für einen Gersauer - diese bunte Welt mit herrlich gekleideten und fröhlichen Menschen...Créolité - DANKE!

  • #4

    RH (Samstag, 02 November 2019 07:17)

    super, blumig beschriebener Bericht! gratuliere!

  • #5

    Juan Domingo appi (Sonntag, 10 November 2019 10:18)

    Me encanta mucho!
    Besos por todas.