Victorias Secret

Alle erheben sich im Schnellboot von den Sitzen. Schrauben ihre Hälse hoch. Auch ich möchte bei der Einfahrt als erste „das Empress“ erspähen.

Mit drei Sirenentönen tuckern wir in den geschützten Hafen von Victoria, Hauptstadt von Britisch Colombia (Kanada) ein.

Die letzte Station meiner Städtereise ist erreicht.

Portland: Die lässig Fröhliche

Seattle: Die aufstrebend Ambitionierte

Und Victoria?

Drängeln, gestresstes Gehabe... nein das ist hier nicht State of the Art. Und das nicht nur, weil ich ausgerechnet in eines der grössten Oldtimertreffen Nordamerikas hineinplatze.

Victoria müsste im Ausnahmezustand sein. Seit gestern haben rund 2000 alte motorisierte Preziosen das Gelände am Hafen (und das ist das Zentrum der Stadt)  in Beschlag genommen.

Die Besitzer der Edelkarossen sitzen  gemütlich auf Camingstühlen neben ihren Schätzlis. Sie beantworten umschweifend die Fragen des interssierten Publikums. Die Polizisten chillen neben ihren Einsatzwagen und weisen lässig bei Bedarf ein. 

Mal Fachsimpeleien hier, mal ein Stäubchen von Lack wischen da, leuchtende Augen allenthalben und nicht selten wird der Motor angeworfen. Räusperndes Knattern. Eine Runde genehm? Junge und alte Fans strahlen.... sie steigen zu...winken freudig. 

Die Zeit scheint angehalten. Sie schnurren entlang der Hafenprommenade. 

In der Bucht: Ein Bild wie aus einem Kinderbuch. 

Die Pickles bestimmen liebenswürdig die Szenerie. Die schnusigen Taxibötchchen wiseln von Haltestelle zu Haltestelle. 

Das Grüne steuert gerade die bunten „schwimmenden Häuser“ bei Fishermanswarf an.

Ein Gelbes kurvt um die zahlreichen Wasserflugzeuge, die sich mit Rotorengebrumm zum Start vorbereiten.

„Dieses da startet nach Vancouver“, weiss Herold, der ausgewanderte Hamburger, der Kapitän auf einem der Taxis ist. Er schippert mich nach Chinatown. 

Am Horizont erscheint die Victoria Star Clipper. „Mit ihr bin ich gestern hier angekommen!“ 

„Herold lächelt, als er das hört. „Weisst Du, dass sie vor zwei Jahren noch die Strecke Heloland-Hamburg bediente?“ 

„Ha, da bin somit schon 2 Mal mit ihr gereist?“ Ich krame mein Bild von meiner Helgoland Reise hervor. (Blog: Bunte Kuh und Erdbeerfels).

Ich steige nicht aus. Noch eine Fahrt bitte. Inzwischen kehren die Walbeobachtungsschiffe zurück. Unzählige Firmen versprechen, Wale zu  erspähen. Eine der beiden Touristenattraktionen der Insel.

Ich lasse bei der Entscheidung lieber einen Profi ans Werk. Dillon, der optische Zwillingsbruder von Pep Guardiola, setzt sein automatisiertes Lächeln auf. Er ist der Concierge des malerisch gelegenen Oak Bay Beach Hotels. Da wo kleine  Rehe wie Katzen durch die Gärten und über Strassen spazieren

Dillon muss es wissen und er weiss es. „Eagle Wings“ sei der beste Anbieter. Dillon überzeugt mich mit Detailwissen. Diese Boote hätten ein Sonargerät an Bord, mit dem man die Tiere orten könne und 10% der Einnahmen flössen in Walschutzprojekte. Gebucht!

Ich bin denn am Treffpunkt auch sehr beeindruckt vom hypermodernen Boot, das mich unter blaugetönten Scheiben verschluckt.

Eine beeindruckende Fahrt beginnt. Wenn ich allerdings etwas über die Orcas erfahren möchte, muss ich ganz nah an Kevin heranrücken. Er ist heute der Ökoführer und platziert sich lässig im Schneidersitz am Vorderdeck.

Ich lausche erfürchtig. Orcas sind nach dem Menschen die intelligentesten Lebewesen. Ja, ihr Gehirn ist unserem in bestimmten Bereichen sogar. überlegen. Sie können kurzfristig mehr Daten als der homo sapiens sapiens  verarbeiten. 

Sie leben in Familienverbänden, die eine eigene Sprache sprechen und pflegen eine äusserst enge Familienbande in der Grossverwandschaft. Ihre emotionalen Kompetenzen sind bewundernswert. Sie halten Zeremonien für eine Art Taufe und Begräbnisse ab. Männchen, die ihre Mutter verlieren, sinken für Monate in tiefe Depressionen. Kollegen versuchen sie zu unterstützen. Jagen für sie, bringen ihnen Futter. 

Eine Mutter hat sogar ihr totgeborenes Kalb 17 Wochen mit ihrer Bauchflosse an sich geklemmt. A propos Mutter: Kevin behändigt sein Fernglas. „Hey Leute.... da Richtung 9 Uhr!!!!“ 

Ein lackschwarzer Rücken durchspflügt die Wellen. Welche Anmut. Taucht auf... einmal... zweimal.... Pffffffff.... die Fontäne spritzt. 

Die Flosse reckt sich hoch und zeichnet ein grosses V in den Horizont. Kevin ruft begeistert: „ Oh Gott, es ist B193, das ist. „Big Mama“! Er hat sie an der Flosse erkannt. In einem Ordner hat er hunderte von Schwanzflossenfotos. Da kann er vergleichen. Vier Jahre sei sie nicht mehr an der Küste erschienen. Jede Flosse hat ihre individuellen Merkmale.  „Welcome back!!“ 

Inzwischen hat sich unser Touristenpulk nach Backbord verschoben. Eine Mutter und ihr Junges. Was machen denn die? Sie legen sich auf den Rücken. Sonnenbaden! 

Wieder bin ich ergriffen... wie das letze Jahr in Grönland (Blog: Weisse Magie). Ganz ruhig liegen sie da. Jetzt aber drehen sie sich.... holen nochmals Luft. Die beiden tauchen ab. Einen spektakulären Sprung, auf den ich so gehofft hatte, gönnen uns die edlen Kreaturen nicht. Doch ich geniesse die Umgebung. Die Wellen wiegen sich sanft. 

An dessen Felsbänken sonnen sich die Seelöwen. Sie haben sich die Bäuche vollgeschlagen und nun lassen sie sich den Pelz wärmen.

Unsere Explorationsbarke biegt nach vier intensiven Beäugungsstunden wieder in den Hafen ein. 

Ich kehre in meine Wohlfühloase, das Oak Bay, zurück, müde, aber nach dem Ausflug ist vor dem Ausflug. 

Der schwarz-beige hochflorige Teppich in der Lobby dämpft meine Schritte. Doch Dillon sieht jeden, der in der Lobby an seinem Pültchen vorbeischleicht, und er wedelt bereits mit einem Papier. Seine Lippen ziehen sich wieder automatisiert hoch: „Alles organisiert: „Morgen 17.00 Uhr.“ 

Victoria ohne „Butchard Garden“ geht gar nicht. Eine Dame auf der Star Clipper hatte mir den Tipp gegeben, spät zu gehen, um auch die nächtliche Illumination mitzuerleben.

Liebe Unbekannte: „Dieser Hinweis war Gold wert!“  Herrlich leer auf der Mainau Canadas. 

Lady Jenny Butchart sei grösster Dank. Sie begann 1907 mit der „Verschönerung“ einer stillgelegten Zementgrube. Seither ist der grandiose Garten in der Hand der Familie geblieben. Seit 2004 trögt die Anlage den stolzen Titel der „ National sites of Canada“. 


Ich verliebe mich schon nach 200 m in den versteckt liegenden „Sunken Garden“. Ich durchstreife einige alte Baumbestände und stehe plötzlich auf einer Kanzel. Von da blicke ich  in das kleine Tal, in ein Blütenmeer.

Man möchte sich hinsetzen, die florastische Colorata in sich hineinziehen; die Düfte von gelben Tagetes, indigoblauen Vanilleblumen verinnerlichen. 

Der Japanische Garten liegt auf der andern Seite des Parkes. Bedeutende Japanische Gartenkünstler haben hier gewirkt. 

Eine grüne Oase der Ruhe. Nirgends ist Rot so Rot wie hier drinn. 

Im ehemaligen Herrenhaus sind die Lichter angegangen. Funkeln warm zwischen den gestreiften Jalousien durch die verbleiten Quarréfenster.

Ein herrlich romantisches Restaurant erwartet mich. Die Pasta im dunklen Sepia-Teigmäntelchen mundet raviolitastisch. 

Die Dämmerung zieht auf. 3000 Leuchten sollen im Garten platziert sein. Jetzt hat sich der „Sunken Garden“ zu einem Reich der Feen gewandelt. 

Ach, sah ich nicht hinter den blauen Stämmen ein blondes Engelshaar entschwinden? 

Oder sitzt ein kleiner Kobold unter dem kupferroten Gebüsch? 

Der letzte Tag bricht an und noch immer habe ich SIE nicht besucht. Her Majesty residiert im ehrwürdigen Fairmont „Empress“. 

Victoria blickt in diversen Jahrgängen und Kostümen auf das Geschehen im Hotel der Railway Pacific Company herab.

In diesen heiligen Hallen buchen sich pro Jahr 74‘000 Gäste ein, um am berühmten „Afternoon Tea“ teilzunehmen. Es sei nur ein Detail, dass die Zeremonie bereits ab 11.00 Uhr angeboten wird. Auch her Highness war ja eine talentierte  Geschäftsfrau. 

Die weiss befrackten Kellner fliegen eilig aus der Küche; die silbernen Etagèren balancierend, von denen sich die Gäste in Kürze ein traditionelles Scoone oder ein Minicanapé mit abgespreiztem kleinen Finger angeln werden. Der White Jasmin dampft in der Tasse. Das Zuckerdöschen aus schwerem Silber, mit Ranken verziert, steht daneben, auf dass mit einem feinziselierten Löffelchen eingetaucht werde, um danach den puderfeinen Zucker in die rosengeschmückte Porzellantasse rieseln zu lassen. 


Timeless.

Ich bleibe stille Beobachterin und setzte mich später ins Restaurant Q, wo es etwas Gegenwärtiger zugeht als in der formellen Teatime. Die Japanerin Maddie und die deutsche Sybille bieten hier herzlich flinken Service.

Ein älteres Paar tritt ein. Sie schauen sich um, finden Maddie und fallen ihr um den Hals. Sie kommen jedes Jahr am Hochzeitstag. Sie Japanerin, er Amerikaner. Sie hätten sich jung verliebt und dann aus den Augen verloren. Er habe nie aufgehört sie zu suchen; dann fand er sie durch Zufall im Internet. 


30 Jahre daran geglaubt. 

Victoria und die Zeit.

Diese Stadt hat Zeit.

Tiefenentspannt trete ich die Heimreise an. Noch ein letzter Blick zu her Majesty. Hat sie leicht gelächelt?



Victorias Secret: GELASSENHEIT

Kommentar schreiben

Kommentare: 3
  • #1

    Cornelia (Sonntag, 04 August 2019 06:39)

    Oh, hier würde es mir gefallen. Danke, fürs bildliche Mitnehmen!

  • #2

    Rena de la casa (Sonntag, 04 August 2019 11:18)

    Einmal mehr tauchst du (mit) uns in ein Farbenmeer ab. Grazie.
    Empfindest du diesen Schlusspunkt als Höhepunkt deiner Sommerreise?

  • #3

    Müller Albert (Sonntag, 04 August 2019 11:55)

    Wieder eine Vielzahl wunderbarer Fotos - mich beeindruckten jene mit dem Leuchtturm und dem Schneegebirge im Hintergrund sowie natürlich der "Sunken Garden"...Herzlichen Dank, nun "muss" ich nicht dorthin...