Feuerberg

Es ging - wie so oft - wieder einmal um Frauengeschichten. Helenas Geliebter, Rainier, entwickelte offenbar beachtliche Talente als Womenizer. Da lupfte es Helena eines Tages sprichwörtlich und auch optisch den Hut. Am 18. Mai 1980 nahm sie Rache.

So erklären die einheimischen Stämme den Ausbruch ihres heiligen Berges, den wir unter Mount St. Helen‘s kennen. Wir mögen die Geschichte, dass die beiden Vulkane Rainier und Helen‘s  ein Paar seien, etwas belächeln. Tatsache aber ist, dass auf dem Mount Rainier, wirklich Gestein gefunden wurde, das nur auf St. Helen‘s vorkommt. Und soweit reichten Helenas Geschosse aber nicht.

Ich kann mich noch gut über die Berichterstattung in den Medien. erinnern. Es war der grösste Vulkanausbruch in den USA seit Menschengedenken.

Ich möchte mehr über die feuerspeiende Lady erfahren. Ernest, Geschichtslehrer im Hauptberuf, holt mich und andere Tourteilnehmer ab.  Ein 10-Stünder wird uns  bevorstehen. 

Nach gut 60 Minuten Fahrt tauchen wir in das Dickicht des Forest-Parks ein. 

Hier gibt es nur eine kleine Strasse. Die Einheimischen haben sich erfolgreich gewehrt, den Zugang zum Berg durch neue Wege zu erschliessen. 

Wir fahren in einem grünen Tunnel aus überhängenden Blättern. Ab und zu lichtet sich das Grün und liebliche Auen mit glasklaren Flüsschen, welche durch die Felder meandern,  erfreuen das Auge. 

Nun aber wird der Blick endgültig versperrt und Ernest kündigt den ersten Höhepunkt an. Die Basalthöhle namens „Ape“. Hier hat sich die Lava eines füheren Ausbruchs unterirdisch ihren Weg gesucht. In dieses Cave würden wir nun einsteigen. Ernest parkiert. Es sieht aus wie vor den Höllgrotten in Baar. „Easy“, denke ich. Das wird ja wie dort sein, einfach etwas tiefer. Gute Wege, Beleuchtung. Als Ernest das Heck seines Vans öffnet, schwant mir nun Ungemach. Zuerst mustert er unsere Schuhe. Meine brandneuen Wandertreter bestehen den Test. „Rutschfest ok!“. „Alle Jacken anziehen! Durchnitttemperatur 9 Grad.“

Aha. Er öffnet eine Box und ... ohhh Schreck: Stirnlampen und Wanderstöcke. Habe ich mich wirklich für ein klaustrophobisches Erlebnis in völliger Dunkelheit angemeldet?

Es geht eine Natursteintreppe hinunter. Die Steine glänzen. Moos umhüllt die kleinen Felsbrocken, die noch im Tageslicht stehen dürfen. Wir schreiten mutig vorwärts. Schwarz. Ernest nimmt es ganz genau. Batteriecheck aller Lampen. Eine muss gewechselt werden. Meine Leuchte gibt auch mit vollen Batterien nicht mehr als ein Armenseelenlicht ab. Ernest sieht das auch so und drückt mir verdankenswerterweise noch eine grosse Taschenlampe in die Hand. Abmarsch. 

Der Boden ist karstig. Verworfene Steinschichten. Ab und zu ein felsiges Obstakel, wo wir mit sehr viel Aufmersamkeit und Knieeinsatz  über kantiges Geröll balancieren. Da ich die beste Lampe mitführe, werde ich bald zum Chef Beleuchtung ernannt.

Ernest kann die Wände „lesen“; weiss, wie sich die Lava durchgeschoben hat.

Ich gebe Licht und wir entdecken. Die lila Druse, in der gelb der Schwefel leuchtet. Geheimnissvolle Linien, kleine schwarze Stalaktiten. 

Am Schluss wartet der Meatball. Der perfekte Name. Ein „Fleischkloss“ zwischen zwei Wände geklemmt. Wir kehren um. Meine Finger sind steif, der Höhlenwind streicht um die Ohren. 

Es kommen uns neue „Höhlenforscher“ entgegen. Lustig: Ihre Lampen blinken wie Sterne in  der Düsternis.

Endlich, Licht, die Treppe. Ich klopfe mir imaginär auf die Schulter. Geschafft meine erste Lava-Tube.... und davon gibt es nicht sehr viele, die zugänglich sind.

Bis jetzt habe ich von der heiligen Helena noch nichts gesehen. Das aufgrund der dichten Bewaldung.

„Nun“, meint Ernest, der gerade in ein Truthahnsandwich beisst (unser Picknick), die Chance auf Sicht ist heute leider sehr gering.“ Und zugleich tröstend fügt er an: „Nur 30% der Besucher kriegen den Krater zu Gesicht. Es hat immer viele Wolken.“ „So... so... das stand natürlich nicht im Prospekt.“ Ich nehme noch einen letzten Schluck vom Selzer-Gurkenwasser und schraube meine Erwartungen deutlich herunter. Wir steigen in das Auto, umrunden nun den Berg wähhrend gut einer Stunde. Ernest zweigt ab. 

In sanften Kurven steigen wir über die unteren Baumwipfel. Nach und nach wird der Blick frei auf ein breites, flaches Tal.

Helene hält sich bedeckt. Graue Schwaden versperren die Sicht. 

Je weiter wir hochfahren umso mehr dreht Ernest an der Dramaturgieschraube.

„Der Vulkan brach nicht unerwartet aus. Experten hatten die Eruption klar vorausgesagt. Leider glaubte die Regierung jenen Wissenschaftlern, die meinten, es reiche, einen Kreis von 5 Meilen zu evakuieren. Tatsächlich ging die „Blastzone“ 16 Meilen. Diese Fehleinschätzung kostete 57 Menschen das Leben.“

Wir halten an einem Aussichtspunkt. 

„ Hmmm... man sieht den Krater nicht, meint Ernest leise. Ich bin etwas verwirrt. Was meinst  Du denn mit Krater? Dafür sind wir doch zuwenig hoch?“

Vorher-Nachher
Vorher-Nachher

Nun, ja das wisst ihr Ausländer vielleicht nicht. Das besondere an diesem Ausbruch ist nicht die Eruption, sondern, dass in Richtung Mount Rainier, der Berg von der Spitze weg um gut 400 m eingebrochen ist.  Es bildete sich ein sogenannter pyroklastischer Strom. Das ganze Material ging mit einer Geschwindigkeit von 1000  km ab und donnerte als grösste Schlamm-und Gerölllawine des 20. Jahrhunderts ins Tal. Die Druckwelle und die Massen mähten alles Leben nieder. Die Zornige, entliess ein Gemisch aus Gas, Asche und Gesteinsbrocken, deren Temperatur 300 - 800 Grad erreichen kann. Infernale Verwüstung: Menschen, Tiere, Bäume. Dabei gab sie sich gar nicht laut. Ein dumpfes, aber furchterregendes Grollen entwich ihrem Schlund. Viel mehr sei gar nicht zu hören gewesen. 



Dann Stille.... ab und zu das Knistern von Holz, wenn es in Form von durchgeglühter Kohle zu Asche zerfällt. Beissender Rauch.

Ernest zeigt ein Bild. Ja und nach diesen wenigen Sekunden war nichts  mehr wie vorher. Der Berg hatte seinen Gipfel verloren. Nördlich war die Seite eingebrochen, so dass man bei guter Sicht direkt in den Berg hineinschauen kann.

A propos Sicht. Die Wolken scheinen sich zu bewegen. Es wird heller. 

Ernest fährt weiter und nach ca. fünf Minuten schreien wir unisono. „Der Berg! Halt an... halt an!“. Wir stürzen aus dem Auto. Doch die Nebel ziehen bereits wieder um die Kante. Ich wagte einen Shot durch die getönte Windschutzscheibe. Mit sehr, sehr viel Fantasie sehe ich sie, Helene. Ja.. ja ich sehe sie.... also nur ich. 

Wir sind halb begeistert, halb enttäuscht. Würde sie sich doch nicht enthüllen? Nun gut, ich erfreue mich an den umliegenden Gipfeln und am Wald.

Hundertausende von Nordmanntannen stehen hier am Gegenhang. Private haben die toten Hügelzüge wieder belebt. Die Bäume eingesetzt. Wunderschön anzusehen,bläulich-grün ihr Schimmer. Weihnachtsbäume soweit das Auge reicht (nur ich wundere mich: „Eine Monokultur; ist das die richtige Strategie?“

Beim nächsten Stop widmen wir uns dem Tal unter uns. Das habe vorher ähnlich ausgesehen wie auf der Seite, die wir am Morgen besucht haben. Es war ein V-Tal.  Die Lawine hat mit ihrer Wucht die Tektonik verändert. Das Tal geweitet, Flüsse geschluckt oder gestaut; neue Seen sind entstanden.

Noch zwei Serpentinen. Das Visitorcenter ist erreicht. Von da würde man eben in den Krater sehen und auch den Lavakegel erkennen, der sich Wochen nach dem Ausbruch bildete, als schnell abkühlende Lava austrat und den “Dom“ formierte.

Würde... sehen. Das Gegenteil ist im Anzug. Pfiffiger Wind schiebt dunkles Gewölk herbei. Wir geben auf dem Rundweg Gas. Nass möchten wir nicht werden. Bewunderswert, wie sich die Natur ihr Terrain wieder zurückerobert. 

Feurig-orange die ersten Blumen.

Dicke Tropfen platschen. Gerade schaffe ich es noch und diretissima nehme ich Kurs auf das Kino.

Der Film über den Ausbruch geht unter die Haut. 


Wie schnell vergisst die Welt.

Wieder zurück in Portland. 

Ich stehe auf einer Anhöhe.

Der Himmel ist blau.

Gerne hätte ich die qualmende Helene schon gesehen.


Ich hebe den Blick... verliere mich in der Ferne. Ohh Helene.... da trittst Du so unverhofft aus dem Dunst?

Weit, weit weg.... und nicht die geschundene Flanke zeigend, sondern die intakte Rückseite. 


Der Kreis schliesst sich

.... und ich habe den Krater doch gestern gesehen ... oder?

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Kommentare: 5
  • #1

    Will Appipapi (Donnerstag, 18 Juli 2019 02:33)

    Danke für diesen wunderschönen Beschrieb. Auch mir haben Sie die Erinnerung an diesen Ausbruch damit zurück gebracht! Gerne werde ich Ihren blog wieder besuchen und wünsche Ihnen weiterhin wunderbare Kreativität in Ihren Erzählungen

  • #2

    Martin Gisler (Donnerstag, 18 Juli 2019 06:31)

    Hallo Franziska
    Es ist so wundervoll, diese Bilder und Berichte. Ich bekomme jedesmal Fernweh. Danke.
    Herzliche Grüsse Martin

  • #3

    Albert Müller (Donnerstag, 18 Juli 2019 09:28)

    Wunder-Natur; vor allem die Nordmanntannen, der Vulkan - pass auf!

  • #4

    Werner (Donnerstag, 18 Juli 2019 20:06)

    Ich habe die wunderschöne Helena 1957 noch ganz erlebt und 1989 geköpft und die weite Umwelt zerstört. Welcher Unterschied !!
    Danke für den Bericht.
    Mach noch einen Ausflug zum Caterlake Oregon wenn du Zeit hast.
    Liebe Grüsse

  • #5

    Rena de la casa (Samstag, 20 Juli 2019)

    Deine Erzählung sprudelt so lebendig, fast spür ich die 'Wellen der Lava' und riech und seh das verbrannte Holz: so hab ich die zwei Berge vor etlichen Jahren nicht erlebt!
    ¡Gracias Francesca!