Abgetaucht


„The city is packed“, meint die junge Dame an der Rezeption. Ihre rehbraunen Augen schauen mich über ihrem fliederfarbenen Etuikleid etwas mitleidig an. 


„Also“, denke ich, „das heisst übersetzt, mit dem Taxi ist da kein Durchkommen. Ich muss in die Unterwelt; ich muss jetzt zum ersten Mal in NY U-Bahn fahren. Das passt ja sowieso hervorragend zu meinem Thema. Weg von der Glitzerwelt, von Rockefeller und 5. Avenue. Ich suche das Dahinter, mehr Tiefe.“


Deshalb  habe ich eine „Graff Tour“ gebucht. Die Welt zwischen Illegalität und Genie lockt, zieht mich an.

Etwas misstrauisch steige ich die Treppen der Subway hinunter. Ja alles nicht so schlimm, eigentlich einfach aufgebaut. Entweder Uptown oder Downtown... nur ich muss quer mit Linie L .... nach Brooklyn. Brooklyn das war bei meinem 1. Besuch in Big Apple1992,  ein nicht ungefährliches Armenviertel. Aber jetzt, so habe ich mir sagen lassen, hätte es da in Williamsburg so herzige Restaurants und kleine Geschäfte.  Flaniermeile mit Hippietouch. Genau das richtige Vorprogramn zu meinem Eintauchen in die Zwischenwelten von Graffiti und Streetart. Ich sehe mich schon wonnig in einem Kaffee eine Crêpe essen, die Sonnenstrahlen zu geniessen. Ein Capuccino.... samtiger Milchschaum auf meinen Lippen. 


Inzwischen habe ich im Untergrund den chromfarbigen Zug gefunden. Erfolgreich eine 7-Tageskarte gelöst.


Mein Ziel: Montrose Station. 

Das Publikum fesselt mein Interesse. Keine Anzüge und Kravatten. Dafür blanke Bizeps, Tattoos.... gewagte Outfits.... die meisten Fahrgäste haben den Stöpsel im Ohr. Es rattert, schüttelt. Mit blechiger Stimme kündet der Computer die Haltestellen an, was ich nicht höre, denn mein Sitznachbar hat gerade Hip Hop auf Schmerzgrenze gestellt. Er erntet einige strafende Blicke.... sucht den Abstellknopf. Sein vermutlich nicht unwesentlich erhöhter Crackpegel (oder was auch immer) wird die erfolgreiche Manipulation noch einige Minuten verhindern und so bin ich darauf angewiesen, die vorbeiflitzenden Stationsnamen zu erhaschen. 


Montrose:

Aussteigen.

Schon grosse Vorfreude. Gleich die netten Gassen mit den Restaurants. Vor der letzten Treppe renne ich beinahe in zwei veritable New York Cops. Mit ihren schlagstockbehangenen Gürteln, Revolverhalftern und diversen Funkgeräten deckt jeder mindestens  zwei blau-uniformierte Kubikmeter ab. Nach eingehender Musterung erhalte ich aber ein grüssendes Nicken. Ein Anflug von Lächeln unter den schwarzen Schäuzen. Irgendwie fühle ich ihren Blick im Rücken als an die Oberfläche steige. 

Innerer Jubel am Treppenausgang. Ich bin hier offenbar richtig. 


Von der Backsteinmauer lächelt mir verklärt eine exotische Schönheit entgegen. Ich bin bei der Streetart gelandet. 

Da wollte ich doch hin. Im selben Moment windet es mir eine durchsichtige Plastiktüte ins Gesicht. Ich wehre sie ab, platziere einen ersten 180 Grad Augenschwenk. 

Hmmn... Cafées, Restaurants. Flower-Power Shops? Fehlanzeige.... 

Ich finde mich an einer schmudeligen Kreuzung wieder. Der Strassenbelag entledigt sich seit Jahren seiner Deckschicht, so dass die darunterliegenden Asphalte im Schuppenprinzip an die Oberfläche finden. Grau , Schwarz, Kiesel, Löwenzahn, Loch, Pfütze. „Gut, das ist sicher nur gerade hier so“, flötet mein innerer Motivator. Frohgemut gehe ich deshalb auf die Suche nach dem Treffpunkt. Zwischen versprühten Lagerhallen. Da ist es. „Graff Tours“.

Ich bin viel zu früh. Zeit für einen Inbiss. Dieses schmucke Viertel kann ja nicht weit sein. Den nachfolgenden Gang  durch die Nachbarsstrassen möchte ich kurz als Güsel-Walk zusammenfassen.

Statt gepflegtes Vorstadtgrün in den Minivorgärten: Kartons, Unrat, unsortiert, dazwischen mal ein Fahrrad angekettet. Alles durch- und überquellend. Ein Bullterrier hebt sein Bein. 

Nach einer Quartiersumrundung von 45 min. erweist sich der kleine Bäcker „Bread Brothers“ an der Ecke als meine Rettung. Der fast einzige, der hier etwas Essbares anbietet und beliebt scheint er zu sein. 

In einer Vitrine orte ich grosse Haufen einer konsistenten Masse mit diversen Täfelchen. Also Eis ist das nicht. Ich lerne: Aha.... New Yorks Nationalsnack: „Bagel“ oder genauer die Füllung für das Ringbrot. Das muss ich natürlich probieren. Erdbeer, Ananas-Thon ect. erscheinen mir zu verwegen. Ich wähle: Kräuter mit Gurke und bestelle an der Kasse. Die Bedienung hat noch eine Frage gestellt, aber ich hatte nicht verstanden. Also ich nochmals: „Kräuter und Gurke“. „Ja, das weiss ich schon, schnauzt der Verkäufer. Welches Brot?“ „Ja ein Bagel!“

Er kriegt fast die Krise: „Hallo Lady: Wir haben 20 Sorten Brot.“ Peinlich, peinlich.... ich verziehe mich wieder in den hinteren Teil des Geschäftes. Da soll mal einer sagen, die Amis hätten nur Weissbrot. Von Weiss bis Dunkelschwarz, bestreuselt mit jeglicher „Besamung“. Es bleibt kein Auge trocken.  Der Blick der Bäckers sagt alles: „Beeilung Madame.“

So nehme ich das zweit dunkelste mit Körner-Mix.

Nun kann ich also mitreden. Ich kapere mir draussen  an windiger Lage einen der wenigen Eisenstühle und beschäftige mich mit der Mahlzeit. Unerwartend herausfordernd. Während man einen Hamburger problemlos durch sein pampiges Brot hindurch anbeissen kann, was aber auch meistens zum Wegschauen ist, so gestaltet sich die Verköstigung eines Bagels bedeutend schwieriger. Er leistet heftigen Widerstand. Mein Mund klappt auf maximale Dehnstufe. Erinnerungen an die Röntgenplatte beim Zahnarzt poppen hoch. Nun stecke ich mitten drinn, kein Wank. Blockiert zwischen Vollkorn und Frischkäse-Schnittlauchgrün, das ungeniert seitlich sahnig heruntertropft. Leichte Anzeichen von Würgen. Schluckstress. Geschafft. Augenwasser. 


Der zweite Versuch verfolgt die Strategie: Fifty fifty. Ich nehme die Ringe auseinander, was nur noch hälftige Schnapphöhe erfordert. Sicher lächerlich... aber sättigend.

Am Fussgängerstreifen erscheint ein Paar, das nicht in diese Gegend passt. Na, das sind wohl meine Mitbesucher der Tour. Ich hefte mich an ihre Fersen. Bingo! Ich stehe wieder vor dem Eingang von Graff-Tours. 

Gabriel stellt sich als  Führer und Inhaber der Firma vor. Wir tauchen sofort ein... in diese andere Welt.

Gabriel: „Nirgends in den USA finden sich mehr Künstler pro Quadratkilometer als in Bushwick, Brookyn. Welcome.“

Was jetzt folgt ist eine kompett neue Welt für mich: Eine Stunde Crash-Kurs Graffiti. 

Alles startete mit einem

griechisch-stämmigen blutjungen Postboten, der ca. 1979 begann, seinen Namen an belieferte Türen zu sprayen.


Nachahmer fanden sich schnell und es entwickelte sich eine Gegengesellschaft zu den grassierenden mordenden Banden.

Die Sprayer organisierten sich in „Crews“, Gruppen, die nicht gewalttätig orientiert waren, aber eben doch den Kick der Ilegalitätlität suchten. 

 

Gabriel zeigt uns das Taging.

Schriftzüge; sie zeigen den Künstlernamen. 

Oft war das nicht genug schreierisch.... es entwickelte sich die Bubbleschrift. Die den meisten von uns bekannten aufgeblasenen Buchstaben.

Es ging und geht immer um Reviermarkierung. Eine Duftnote unter den einzelnen rivalisierenden Crews zu setzen.Wir, die „CrewXY“, waren hier; wir haben diese Wand okupiert.

 

Jeder Sprayer hat einen Künstlernamen. Er wird  bestenfalls in eine Crew aufgenommen, kennt aber die Mitglieder nur beim Künstlernamen, sieht sie auch nicht. Eine Untergrundgesellschaft. Die Crew scheint hirarchisch organisiert zu sein. Der Präsident kann Mitglieder aufnehmen oder rauswerfen. 


Jeder Künstler agiert alleine; er unterschreibt mit seinem Künstlernamen und/oder dem Crew-Namen. 

Inzwischen sind reine Schriftzüge eher selten. Riesige Mauern (sogenannte Murals) werden innert Stunden gestaltet..... mit Hebebühne mitten iin der Nacht. Dabei sind einige Gebäude von den Eigentümern zur Bemalung frei gegeben.....aber Gabriel macht klar:

„Du musst den Grat gehen; es wird erwartet, dass Du Unerlaubtes riskierst. Sonst bist Du ein Weichei. Richtig Hip bist Du eben nur, wenn Du es schaffst, Dich für gewisse bewilligte Werke bezahlen zu lassen und dann anderswo wieder eine verbote Mauer .... !“

Gerne hätte ich gefragt, wie denn bezahlt werde, da der Künstler anonym bleibt. 

Ein überraschender Regenschauer lenkt mich ab. Meine Silberjacke versagt kläglich. Tropfnass von oben bis unten. Das soll uns jedoch nicht abhalten.

Ich staune über die Techniken und Motive.

Ein „One-Liner“ erwartet uns. Da wird die Sprühdose nur ein einziges Mal angesetzt und ohne Pause  oder Absetzen gestaltet.

Zur Zeit sind sehr bildhafte detailierte Sujets beliebt und auch Portraits, wobei Gabriel diese als „sehr in Richtung Streetart abdriftend“ einordnet. Da ist wenig Dreck, wenig Dirt... verstehst Du?

Zum Teil sind sie auch gebrushed, also mit Pinsel gestaltet. Meine ich ein Nasenrümpfen bei Gabriel zu sehen

Die Unterscheidung zu Streetart bleibt unklar. Letztere ist aber oft bewilligt oder sogar eine Auftragsarbeit und die Künstler verfügen über eine Ausbildung in Arts.


Wir spazieren und spazieren. Da war vorgestern noch kein Bild. Jetzt ein Masterpiece (hohes Rating). In nur 3 Tagen wurden diese teuflischen Fratzen zum Leben erweckt. 

Und diese Pferde sind ganz neu; erst seit gestern. Ich weiss es: Der Künstler ist eine Frau.

Natürlich werden auch viele Bilder wieder zerstört. Du weisst nie, was Dich am Morgen erwartet.

Diese Subkultur bleibt für mich auch nach einer Stunde ein Rätsel, und so ist es ja offenbar gewollt. Ich bin nicht Player in diesem Spiel und darf auch nur bruchstückhaft begreifen.

Immerhin hatte 2013 ein Gericht eine knifflige Frage zu beantworten. Der Eigentümer einer grossen Lagerhalle hatte die Aussenwände zur Bemalung freigegeben. Ca. 50 Künstler nutzten die Gelegenheit. Einige Jahre später wollte der Eigentümer auf dem Platz bauen und zerstörte die Malereien.

Die Künstler klagten wegen Verletzung ihres geistigen Eigentums. Das Gericht hat 2016 erstmals Graffiti als Kunstform anerkannt und den Künstlern insgesamt 52 Mio Dollar zugesprochen. Der Fall wurde weitergezogen und ist pendent. Heikel, heikel.

Gerne hätte ich noch bei Gabriel den abschliessenden Workshop besucht, wo ich selber mit der Sprühdose hantiert hätte. Aber ich habe abgemacht in der Stadt.


Auf jeden Fall habe ich, wenn nicht Feuer, so zumindest Farbe gefangen. Lust auf Bunt. Deshalb steige ich nochmals ins Internet und da: Der „Color Factory“ gehört ab sofort meine Neugier. Ein Pop-Up Museum ganz zum Thema Farbe. Niemand weiss, wie lange die Installation betrieben wird. Reservieren kann man nicht. 

Aber ich bin da!!

Der Türsteher vis à vis dem trendigen Hotel Dominik, weiss aber, dass das Projekt um 8 Monate verlängert wurde.


Die Assistenten in froschgrünen und himmelblauen Overalls winken mir fröhlich zu. Es wird spannend. 

„Du musst Dich mit Deiner e-mail registrieren. Nun bekommst Du eine Plastikkarte. Wenn Du in einem Raum ein Fofo machen möchtest, einfach Deine Karte an den Scanner halten, bitte lächeln oder grinsen .... klick und schon ist das Foto in Deiner Mailbox.“

Meine Farbreise führt durch 16 Räume im Einbahnsystem (man kann nicht zurück). So spannend kam mir noch selten ein Museum vor. Meine Rezeptoren sind auf 100, nach jeder Türe ein neuer Ha ha - und Wouww -Effekt. 

Dazwischen darf ich auch immer wieder schmausen. Farbiges natürlich. Rosa Brausewasser, Maccarons vom Laufband mit schrillem Zuckerguss. Wasserblaues Eis. 

An einem frühen Posten darf ich eine Lieblingsfarbe wählen und mir den Pin anstecken. 7 Zimmer später muss ich einen Fragenparcour beantworten und lande schliesslich in einer  violett-pinken Zelle und der Bildschirm teilt mir mit, dass meine persönliche Farbe (zu meinem Charakter passend) folgenden Namen trage: 

Damit kann ich leben: ich hatte ja auch den pinken Pin genommen; ich schmunzle: Ich als wilder und verrückter Chiccorée. Also mir gefällt das. 

So geht es weiter Raum um Raum. 

Farbe und Marketing, 

Tanzen auf farbigen Kreisen.

Bälle schweben lassen

und zuletzt in das eisblaue Kugelbad gesprungen. 

Mich wieder als Kind gefühlt..... abgetaucht.

Gelacht .... gelacht


Hey NewYork

How cool!


.... und jetzt wieder mit tollen Erinnerungen

Daheim aufgetaucht.

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Kommentare: 3
  • #1

    Albert Müller (Dienstag, 21 Mai 2019 21:39)

    Wunderschöne Fotos, besonders jene vom "Herzaltar" und am Schluss in weissen Kugeln - wie neu geboren aufgetaucht: Franziska
    Du in Montrose in New York
    Albert in der "Mostrose" in Luzern

  • #2

    Cornelia (Mittwoch, 22 Mai 2019 09:20)

    Lieben Dank fürs "Mitnehmen" nach NY.
    Wiedereinmal sehr lebendig deine bebilderten Ausführungen.
    Wünsche dir einen schönen Tag, liebe Grüsse!

  • #3

    Rena de la casa (Mittwoch, 22 Mai 2019 19:14)

    Big apple in Variationen! Francesca- Schlusspunkt mit Farbenpracht und Abtauchen in Spielbällen! Playground...
    Spannend, erheiternd: 'typisch Du'!