Aride

Es sei wirklich kein Problem, also zumindest jetzt, im April,  nicht.... da sei das Wasser ja noch ruhig. Paul spricht auf die Tatsache an, dass das Zubringerboot auf dem Eiland nicht anlanden darf (Umweltschutz). Da müsse man eben auf See in das Zodiak der Parkverwaltung umsteigen. 


Diese Aussage überzeugt mich. Ich werde eine neue Insel entdecken. Und eine Spezielle. Aride! „Die Trockene“. Jeder Seychellois, dem ich von meinem Plan erzähle, schaut mich ungläubig an. „Was Aride? Eine Touristin geht nach Aride?“ Formidable, aber eben recht remote. Die nördlichste der Seychellen-Inseln. Sie ist Gegenstand des nationalen Umweltschutzprogrammes, CIS, das sich dem Erhalt der Biodiversität verschrieben hat. 


Kein privates Schiff darf anlanden, nichts mitgenommen oder verändert werden. Eine Million, zum Teil sehr seltener Vögel, sollen da brüten. Fünf Spezies davon, sind nur auf den Seychellen heimisch. Der Spaziergang ausschliesslich mit den Ökoguides erlaubt. 

Das, würde meine Familie sagen,  ist doch blogrelevant. Ich bin dabei. 

Ich freue mich. Ich, als Robinson Crousa. Ich werde die Seychellen sehen, wie sie von 250 Jahren waren. Richtig weit weg von der Schweiz, Die Schweizer sind ja überall, aber dort... dort....sicher nicht. praktisch ich allein und die Natur. 


Zuerst geht es um 7.30 Uhr auf die Catcoco Fähre. Paul bringt mich zur Ablegestelle. Doch, ein kleiner Satz bringt mein Adrenalin schon auf Kochtempetatur. „Hmmm ... Madame....es könnte etwas bumpy werden! .... also ich meine beim Umsteigen auf das Zodiak.“ Kurze Halsmuskelverengung. Wenn die Einheimischen „bumpy“ sagen, dann meinen sie auch WELLEN und zwar richtige. Nun, es ist für einen Rückzieher zu spät. Auf zur Nachbarinsel  Praslin. Dort werde ich am Hafen von „Don“ in Empfang genommen und nach 15 Min. Fahrt an Jürgen weiter gereicht, der mit mir durch das knietiefe Wasser zum Boot watet. Einsteigen easy. 

Die Fahrt ist fetzig. Das Meer manierlich ruhig. Der Wind pfeifft um die Ohren, Vorbei an verwunschenen Inseln mit ganz kleinen Geheimtipphotels, die Strände von Curieuse, die grau-roten Granitfelsen. Elegante Palmenwedel hängen darüber. Eine Augenschmausfahrt.

Nach einer halben Stunde taucht sie auf... die ferne, lockende Insel. Der Strand: Ein  leuchtendes, weisses Band.


Jürgen wird jetzt geschäftig. Er packt alle  Kleider in einen Drybeutel, rollt ihn zusammen und wirft mir eine Schwimmweste zu. „Tja .... leider haben sich die Konditionen verändert. Ziemlich bewegtes Wasser!“ Also in den letzten Tagen sei es ja sooooo herrlich ruhig gewesen. Aber just heute habe der Wind gedreht. Ja, das tröstet mich jetzt ungemein, dass die Bedingungen in den letzten Wochen für die Umsteigeübung perfekt waren. Jetzt ist jetzt!!

Wir haben uns rund 200 Meter dem Strand angenähert. 

Dort wird ein korralle-rotes Zodiak wie bei einem Bobstart von Helfern ins Wasser geschoben, und der Bootsführer röhrt mit vollem Speed ab. Bald sind die Schiffe parallel... hu der Sprung naht!! Ich fasse meinen ganzen Mut... goooo... wackel wackel... Landung...ich darf auf den Boden sitzen. Geschafft. 180 Grad-Wendung. Zurück geht es wieder mit Tempo. Die Spitze des Schiffchens reckt sich. Jetzt komme einer der Höhepunkte des Ausfluges. Die Landung auf Sand. Von Bremsen keine Spur, im Gegenteil. Im Garacho auf die Lagune zu, im letzten Moment zieht der Kapitän die Motorenschraube hoch und wir gleiten auf Sand... „Welcome to Aride!“ tönt es mir aus 8 Mündern entgegen. Hallo was? Ich dachte, hier kommt Einsamkeit? 

Junge Frauen und Burschen aller Provenienzen lachen mich an und begleiten mich zu einer Art Wartezone. Sie seien hier die freiwilligen Ökoführer. Sie leben 3-6 Monate in einfachsten Verhältnissen auf der Insel. 

Elektrisch nur mit Solarpannel, Wasser aus der Regentonne gefiltert und abgekocht. 

Noch sind wir ein überschaubares Grüppchen von Besuchern... doch was höre ich? „Luigi, cosa fai, vieni qui! Maman, Maman où es-tu?“ Spätestens jetzt sind meine Robinsonina-Träume begraben. Touristen, ungefähr 20!

Die beiden Führer stellen sich auf. Sie hätten beide die Gruppe gleich in ihrer Muttersprache übernehmen können. William kommt aus Neuchâtel und Paola aus Lugano. Hätte ich mir denken können: Schweizer. Sie sind überall... überall. 

Die beiden Jungen machen ihren Job aber sympa und spannend. Der Spaziergang führt uns ins Unterholz. „Attention, Attentione: Achtet wo ihr hintretet. Die weltweit nur auf dieser Insel vorkommenden Echsen möchten nicht zertrampelt werden. Obwohl sie doch einiges ertragen. Gelegentlich fressen sie auch mal ihren eigenen Schwanz auf. Der soll viele Nährstoffe enthalten. Er wächst übrigens wieder nach.“

Nach und nach erkunden wir Pflanzen und Tiere. Endemische Büsche, wie die nur hier vorkommende Gardenienart, unbekannte Früchte, wie die Nono, die nach überreifem Camenbert stinkt, aber antioxidantif wirken soll. 

Wir dringen tiefer in den Urwald. Und nun geraten die beiden Vogelkundler ins Element. Sie zeigen nach oben in die Blätterkronen. Ganz  ruhig sitzt ein herziges wolliges Kücken auf einem Ast. Es wartet auf die Mutter, die auf Nahrungssuche ist. 

Unter dem Wurzelstock hat sich eine Rosenseeschwalbe versteckt. Sie brütet ein Ei. Wo man hinschaut.... Vögel.... Vögel... Gepiepse und Geschnatter. Die Experten geben Einblick in ihre vielfältige Arbeit. Beringen, Untersuchen, Populationen zählen. So konnte man quasi in letzter

Minute eine Art retten, die nur noch 11 Exemplare aufwies. Nun sind es wieder 300. Jeden Tag sind sie auch als Retter unterwegs. Es gibt auf Inseln eine Baumsorte, auf denen die Vögel gerne nisten. Seine Samen tragen leider zig kleine Häckchen. Wenn diese in Federn geraten, wird das Gefieder derart verklebt, dass Fliegen nicht mehr möglich ist. 

Auf dem Bild wird gerade ein Vögelchen von diesen unglücklichen Samenästen befreit. Bald flattert es davon. Glück gehabt. Mach‘s guet!

Mein ornitologisches Englisch kommt auf dem Rundgang haarscharf an seine gefiederten Grenzen. Wir äugen in das Blätterdach... da...zwei dauerverliebte weisse Papageien. Süss wie sie beeinander höckeln. Treu bis ans Lebensende. Die anglizistische Benamsung der Tiere rückt für mich immer mehr in den Hintergrund. Ihre Lebensweise, die Gefahren, denen sie ausgesetzt sind, interessieren mehr.

Und selbstredlich ihre Schönheit. Mein Liebling ist ein Freund, der wie ein italienischer Bräutigam daherkommt.  

Nachträglich gabe ich herausgefunden, dass es ein Seychellendajal ist, eine Art, die kurz vor dem Aussterben stand. Sein Federgewand glänzt in indigoblauer Seide eines Smokings. 

Der weisse Fleck könnte das weisse Sträusschen an seinem Revert sein. Ciao Bello!

Es wird langsam heiss.

Der Rio Grande meiner eigenen Schwitzgkeit rinnt via Augenbraue, über die Nasenflügel. Wo ist das Taschentuch?! Nichts dabei. Der Ärmel der Korrallenbluse muss es richten.

Und da sind wir ja auch schon beim wunderschönen Strand mit seinen für Aride bekannten Einwohnern, angekommen. Die Geisterkrabben. Der Führer, William, ist mutig und packt eine am Gehäuse. So schaue ich Aug in Aug mit Mr. Crab. Er bewegt leicht seine Schere, also würde er mir flüstern: „So ein Schweizer Fingerbeeri wär doch eine Delikatesse.

Die Natur ist so unberührt und vielfältig. Immer weiter.... weiter. Kein Mensch... nur Natur. 

Die Biologie-Youngsters jagen uns bei 38 Grad den Haupthügel hoch. Über Wurzeln, steinige Blöcke. Die riesigen Tausendfüssler am Wegrand haben es gut. Mit Multipedes ausgestattet, gönnen sie mir bei meinem atemlosen Aufstieg ein stilles Grinsen. Den Gipfel erreicht: Ja, die Aussicht ist blau... meerblau und eine Kontrastfarbe ist auch dabei, denn ab heute gibt es auf Aride  eine neue endemische Pflanze. Sie heisst „hochrote Tomate“ und wächst gerade auf meinem Hals. 

Zurück zur Station finden wir auf verwunschenen Pfaden. Vorbei an kunstvoll gewebten Spinnennetzen, die in den Luftwurzelvorhängen des Baynan Trees in der Morgensonne glänzen. 

Jürgen wartet stolz mit einem selbstgekochten Barbercue. Der Baracuda, der die Zufahrt zur Insel mit mir im Boot noch kopfüber absolvierte, hat sich auf dem Grill, ornitologisch gesprochen, prima gemausert. 

Der Kartoffel-Ananas-Salat lockt ebenfalls. Nur ich habe vorerst keinen Blick (auch keinen fotografischen) dafür. Mit einer Flasche Cola versuche ich den Kreislauf, aufzuzuckern. Nach 15 Minuten bin ich wieder hergestellt. Doch mit bescheidenem Hunger, so laden wir alle Volunteers der Insel zum Mahl. Ratz Fatz alles weg. 

Jetzt ist Siesta.... Strand, Meer oder Schattenplätzchen. Plötzlich: William tippt mir auf den Rücken, und nun gelangt auf der Insel von Freitag und Robinson doch noch Geld ins Spiel: 45 € Landegebühr. Diese kommen voll und ganz dem Projekt von Aride zugute. Gern bezahlt.

Jürgen winkt zum Aufbruch. Es versorgt mich wieder beschwimmwestet im Zodiak. Wir werden rausgestossen und byebye-bewinkt. Ha... und nun? Unser wartendes Motorboot hüpft schon heftig auf den Wogen. Ohhhhh ... nein!!! Der Wechsel. Jürgen beschwichtigt: „No problem.... yesterday was very calme, Madame.“

„Jaaaaa..... das weiss ich!!“

Natürlich habe ich ihm genau zugeschaut, wie er es macht. Nun los. 

Ich erwische ideal, ja gekonnt,  das Wellental und gelange fast elegante in das Boot zurück. Zu meinem eigenen grossen Erstaunen. Erleichterung macht sich breit. 

Jürgen hat noch einen Gast dabei. Es ist Wochenende;  die Insel wird geschlossen; alle suchen noch einen „Taxi-Transport“ zurück. 


Die beiden Jungs sind locker und gleichzeitig konzentriert. Der Seegang hat nochmals merklich angezogen. Ich wähle proaktiv die Methode „Klammergriff“ an der Reling und versichere ich mich nochmals, dass alle meine wichtigen Sachen in einer wasserdichten Hülle verstaut sind. Dann Schub.... die motorisierte Nusschale von gut 5 M Länge bäumt sich auf. Mir fällt das Herz ins Bikini und der Sonnenhut auf den Sitz. Habe ich Roller Coaster gebucht?

Ich kippe nach vorne, nach hinten, nach vorne. Ich mutiere zum lebenden Schweizer Klappmesser. Bei Vollgas klatscht der Meerflitzer flach und hart auf die Wasserfläche, was eine breit gefächerte Auswahl von Organen südlich des Bauchnabels Richtung Speiseröhre beördert und natürlich in nächster Sekunde vize versa. Sachte drehe ich mich in Position. Nur keine seitlichen Schläge. Wie konnte ich nur vergessen, die elastischen Zwischenstücke für meine Wirbelsäule einzupacken. Also muss ich da stossdämpferlos durch und siehe da: Es kommt besser: Je mehr ich mich nicht mehr gegen das Berg und Tal sträube, sondern mitgehe, desto angenehmer. Auf mittlerer Strecke gefällt es mir sogar und ich jauchze innerlich vor Freude, wenn die Gischt weissschäumig auffliegt und in tausende von Schillerperlen zerstiebt.

Die wunderschöne Insel Praslin erwartet mich. Nach 13’200 Inselschritten und 9 km Wegstrecke bin ich definitiv apéroreif. 


Der Abend klingt aus in meinem Lieblingshotel der Seychellen, im Constance Lémuria. 

Noch flöten in meinen Ohren tausend 

gefiederte Sänger. Sie werden noch lange in meiner Erinnerung bleiben. 

„Aride, bleib so.... wie Du bist.“

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Kommentare: 2
  • #1

    Hansueli Maerki (Mittwoch, 01 Mai 2019 23:12)

    What a marvelous description!! Fantastisch, gratuliere Dir zum Mut, der tollen Reise und vor allem zur hervorragenden Beschreibung. Da ich auch dort oder zumindest in der Nähe war, weiss ich das sehr zu schätzen

  • #2

    Rena de la casa (Mittwoch, 08 Mai 2019 18:45)

    Erst mutierst du zur 'hochrote Tomate', dann zum klappbaren Taschenmesser, am Schluss malträtieren dich erst Wellen- gut, bist du heil beim Apero gestrandet!
    Grazie, bella rossa!