Weites Land

Edelweiss! Inbegriff der Schweizer Nationalblume. Da ich nicht zur Kategorie „Berggeiss“ gehöre, habe ich es schon lange abgeschrieben. Ich werde nie eines der weissen Samtsternchen in freier Natur bewundern können. 

Sag niemals nie. Wir landen gerade in Ulan Bator, Hauptstadt der Mongolei. Bis dato war ich dem Klischee von Stutenmilch und Hirtenjurte verfallen. Die nächsten 48 Stunden werden eine ganze Wundertüte an Überraschungen bringen, und damit beginnt es schon in der Airportlounge. Wir werden erwartet. 


Vier bildhübsche Damen, gekleidet in opulentprächtigen Trachten, stehen für uns mit dem traditionellen blauen Willkommensschal parat. 


Jedes Fräulein trägt ein anderes Kleid, die ethnischen Minderheiten des Landes darstellend. 3 Millionen Einwohner, 20 Volksgruppen... das tönt nach kompliziert.


Mit Konrast werden wir denn auch sogleich bei der Fahrt nach Ulan Bataar (roter Held) beliefert. Jurten,  ja hatte ich erwartet.... einfache Hütten... genau... aber nun das? Ultramoderne Glashäuser inmitten der Stadt 


und in umittelbarer Nähe leider häufig unordentlich verwaiste Baustellen. 

Ich bin von Beginn an, in einer undefinierbaren  Verwirrtheit gefangen. Wird „Soko“, unsere junge Reiseleiterin, die in Wien studiert hat, für Erhellung sorgen?


Lob erntet sie auf jeden Fall für das Shangri-La-Hotel. Tipp topp von A-Z und mit einem leistungsstarken WLAN ausgestattet. Daneben ein Shopping-Center, das mich an alles andere als Steppe erinnert. Hochglanzböden, Marken aller Welt. Shopping Laune kommt auf. Allerdings, wir möchten nicht Allerweltsware. Wir Ladies haben es auf „Extra-Weich“ abgesehen. Der 

permanente Verkehrsstau kann uns nicht abhalten. Auf zur Cashmere-Fabrik, Gobi.


Adi, unser Arzt, hätte eine schwere Epidemie in unserer Reisegruppe festgestellt. Von einer Sekunde auf die andere sind alle Damen der „Cashmere-Mania“ verfallen. 


Die Fieberkurve der Kreditkarten steigt rapide an, denn die Preise sind unglaublich attraktiv... das Angebot soooo verlockend, die Schnitte modern. 

Weise, jene Damen, welche sich für die Ausfahrt am andern Morgen, gleich das flauschige Lieblingsteil übergestreift haben. Es wird hervorragende Arbeit als Stossdämpfer leisten. Nachdem wir nach abgasreicher Geduldsprobe endlich der chronisch mit Autos verstopften, russigen, Innenstadt entfliehen, erteilt Soko eine seltsame Passagiersweisung. „Halten Sie sich am Griff des vorderen Sitzes fest, den Kopf weg vom Fenster, ebenfalls Obacht mit Kameras.“ Die Begründung erübrigt sich. Schon ist unser mongolischer Formel 1 - Busfahrer über das erste Schlagloch gebrettert.  

Easy, wenn nachher gnädige 5 Meter intakte Strasse folgen. Aber das ist selten. Im Sekundentakt weitere Vertiefungen. Meine Nackenanatomie hat gerade eine Achterbahnfahrt gelöst. Ich biete meinen Mitreisenden Reisetabletten an. Die Antwort einer Dame: „Wir brauchen doch nichts für den Magen! Eher gegen Hämäoriden!!“


Fotos von der Landschaft gelingen selten.... schüttel schüttel..... rüttel! 

Es gibt aber jemanden, der vor Begeisterung an dieser Fahrt fast in Extase gerät. Mein Schrittzähler. Nach 1,5 Stunden holperdipolderdi boostet er sich  auf  sagenhafte 209 Stockwerke hoch. Na, wer sagt‘s denn. Das ist doch mal eine Statistik. Fake news! Aber mir gefällt der Monitor trotzdem. 


Die kantige Fahrt passt thematisch perfekt zu unserem Ziel. Dort wartet einer der hartgesottensten Burschen der Weltgeschichte. Pilgerort der Mongolen. 200 Tonnen Stahl haben seine Nachkommen vor 10 Jahren zu seinen Ehren zu einer imposanten Reiterstatue aufgewuchtet.

Der grosse, allmächtige Chinggis Khan. 



Ich bin mit dem Lift hochgefahren und klettere die Treppen zum Pferdekopf hoch. Drehe mich um. Puhhh....Er fährt ein. 


Sein Blick: Eisig-starr. Er kneift die Augen zusammen. Eine markante Falte auf der Stirn. Schauer klebt an meiner Haut.

Ich meine seine Stimme zu vernehmen. „Hey kleine Tochter des Willhelm Tell.... nur keine Fisimatenten.... sonst drücken Dich die Hufe meiner 9 Schimmel platt und du endest als blondgelockter Türvorleger meiner Jurte.“ 


So horche ich lammfromm Sokos Erklärungen: Vom japanischen  bis zum kaspischen Meer reichte sein Reich. Seine Kämpfer kannten keine Gnade. Aber dies allein reichte  nicht, um ein Weltreich aufzubauen: Wie fast immer: Cleverness. Chinggis Khan war der erste Feldherr, der seine Männer systematisch ordnete. 10 Leute: Ein Zug. 100 Leute eine Kompanie;  so entstand aus seinem wilden Haufen eine durchorganisierte Truppe. Nun mussten die Streitkräfte auch stets auf dem Laufenden gehalten werden. Information ist der halbe Sieg. Chinggis Khan liess alle 30 Km einen Posten errichten, der über mindestens einen Reiter und ein schnelles Pferd verfügte.

Dringende Nachrichten wurden so in Windeseile durch- und weitergegeben. Jeder Bote gab seinem Pferd mächtig die Sporen. 30 km waren im Volltempo machbar, dann die Stabsübergabe an das nächste Team.  Diese Neuerungen brachten dem Khan die entscheidenden Vorteile. Weniger bekannt ist, dass er nicht nur eroberte, sondern vor allem die Völker einigte. Dies, mit der fast gegenteiligen Strategie: Toleranz. Einmal unter seiner Macht, die er als unantastbar verstand, liess er den Völkern grosse religiöse und kulturelle Freiheiten. Diese Vielfalt ist den Mongolen erhalten geblieben .....Und das Nomadentum. 


Show für die Touristen? Oder gelebter Alltag?

Wir fahren, bzw. rumpeln in ein Jurtencamp. Hier am Fusse von zackigen Felsen, die mich an die Ibergeregg im Kanton Schwyz erinnern, steht ein Dorf aus typischen runden Filzhütten. Es ist ein Hotel... jede Hütte ein Zimmer und im Annexbau ein modernes Badezimmer mit allem Drumm und drann.  Aha Nomadenleben De Luxe. Ja, so könne man das nennen, werde ich informiert. Die Besucher buchten Pferdetrekkings, gehen Wandern... Naturferien eben. 


Im Speisezelt begeben wir uns zum köstlichen Gelage. Die in Soyasauce eingelegten Rettiche mutiern zum Renner. Kohl süss und extrascharf findet ebenfalls schnell Absatz. Das auf heissem Stein gegarte Rind: Ein Schmaus..

Flüssiges zum Löschen? Sieh an sieh an. Cabernay aus Neuseeland, und weiteres aus der grossen weiten Welt? Alles da. Wir sind sehr überrascht, jedoch eher auf das lokale Bier neugierig. 

Es besteht den Geschmackstest bravourös. 

So gestärkt wenden wir uns wieder der Jurtenfrage und dem Nomadentum zu. Wieviel ist authentisch? Das Hotel ist ja eher eine Kunstwelt. 


Soko geleitet uns auf eine saftiggüne Wiese. Da liegt allerlei oranges Gestänge neben einen kleinen Transportlaster.


In der Mongolei seien die Wohnformen sehr unterschiedlich. In Ulan Bataar wohnen ca. 500‘000 Menschen in konventionellen Reihenhäusern oder chicken Appartments. Am Rande dieser Zone beginnt die Wohngegend für die Mehrheit der Einwohner (1 Million) Primitive Hütten, kleine Häuschen, keine santären Anlagen, Plumpsklo. Die ungeklärten Abwässer seinen ein Riesenproblem. Die Regierung möchte eine Neustadt errichten mit neuen Wohnungen und die Menschen umsiedeln. Doch dies führt zu einem Kontadictum fast unaushaltbarer Art. Der freie Mongole, der sich überall im Staatsgebiet ungefragt ein Stück Land nehmen darf.... dieses umzäunt und dann in diesem Rechteck Hütte und Ställe installiert. Er ... in einem Mehrfamilienhaus?  

Quo vadis! Die Wurzeln des Nomadentums sind tief in der Freiheit der Steppe verankert. Noch heute entscheiden sich viele Mongolen für diesen Lebensstil. Von Weitem leuchten die weissen Jurten auf der endlosen Tundra. In der Nähe weiden wild die Pferde und Kühe. Nicht weniger als 20 Mal pro Jahr packt die Familie ihr Hab und Gut zusammen und zieht weiter. Der Vater reitet die Weiten tagelang ab bis er den geeigneten Standpunkt gefunden hat. Dann alles in den Laster verquantet und auf zur neuen Wohnstelle. Da beginnt der Aufbau der Jurten .... und genau das dürfen wir nun miterleben. 

Mit einer Art dehnbaren Scherenzaun wird der Umfang der Jurte in Kreisform (Durchmesser hier ca. 4 m) festgelegt.


Nun wird ein Ring auf Stelzen in die Mitte gestellt. Er weist am Rand Löcher auf; in diese werden Stäbe gestossen und deren Enden auf den Holzzaun gelegt. 


Jetzt erfolgt bereits die Einkleidung mit einer dicken Filzdecke. 


Zum Schluss Bänder um die Aussenhaut gewickelt und Türe immer in Südrichtung eingesetzt und fertig ist nach 20 min. das neue Heim.

Ich bin natürlich neugierig .... recht geräumig... gar nicht schlecht.

Ich trete wieder hinaus... auf die Wiese... ich hatte sie gar nicht bemerkt.....


und nun sag niemals nie... niemals...


Büschelweise Edelweiss!


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Kommentare: 2
  • #1

    margrit furter (Donnerstag, 06 September 2018 09:04)

    super, dein Reisebericht.
    ich schaffte es vor jahren nur von Moskau bis zum Baikalsee. die Mongolei hätte ich gerne gesehen. mach weiter so.

  • #2

    Albert Müller (Donnerstag, 06 September 2018 12:24)

    Franziska - blau - in der Mitte - umrankt von Rot und Grün - eine ethische Minderheit der Tugener darstellend - Deine herrlichen Fotos sollten samt Text in einem Buch veröffentlicht werden! Weiter so - ein Edelweiss ist für den Bergsteiger aus Gersau ein Wunder der Mongolei