Grizzly

Es gibt Dinge, da sagst Du voller Überzeugung.... ICH?? Never ever!!

So geht es mir in dieser Sekunde. ICH? quetsche mich mit 4 anderen Personen auf gefühlten 2.5 qm in einen Propeller-Flieger? 

Lasse mich von einem mir unbekannten, mit Revolver bewaffneten, Trapperboy in die völlige Wildnis von Alaska transportieren? Lande ohne Landebahn? Gehe

dort in freier Wildbahn auf Bärensuche? NEVER!!!


Das Pikante ist nur: Ich habe mich angemeldet.  

Wir sind schon auf dem Flugplatz der Buschflieger, und als erstes erfolgt ein very sexy Tenüfez. Dicke Socken anziehen und dann in hüfthohe Gummistiefel, die mit einem Straps am Gürtel festgezurrt werden. Rucksäcke leeren.... ja kein Essen dabei haben. Ich schwanke noch bei der Jackenwahl... gelb oder schwarz? „Können Bären farbig sehen?“, frage ich Zac, den Guide. „Oh yes... they do ....... and they love pink lipstick!!!“ Alles klar... Schwarz; der Lippenstift bleibt. 


Nun Abmarsch der Abenteurer. 

Jetzt die letzte Möglichkeit, Nein zu deklarieren. 

Hmmm andererseits... no risk no fun! Freunde und Bekannte von mir besteigen den Killi, machen Segelflüge, Fallschirmsprünge...da möchte ich auch mal etwas Aufregendes in mein Palmares schreiben. Und Melanie hat mir ein Foto ihrer Tour vom Juni gezeigt. Hohes Gras und ein kleiner schwarzer Punkt gleich Bär. Das sieht vertrauenserweckend weit weg aus. 


Die Stunde der Wahrheit ist angerückt; die Propeller heulen auf. 

„Tschau liebe Freunde, liebe Welt.... sollte meine Existenz als nachmitttägliche Zwischenverpflegung eines Grizzlis enden: Es war schön!!“

Vorerst geniesse ich als aviatische letzte Freude noch den fantastischen Flug. Weit über dem Ozean, später endlich Land. Zac vollführt eine Volte über einem namenlosen Gletscher. Herrlich. Weiss und blauer Himmel mit Wattebauschwolken.

Die Aufmerksamkeit des Piloten gilt nun der Flusslandschaft unter uns. „Ahh ... sie sind da!!! Great!!!,“ schreit er durch den Motorenlärm.

In mir: „Oh nein... tatsächlich?“ Erste Aortaverengung. Klamme Finger! 

Vorerst aber mal landen. Da ist ein Kiesstrand  mit alten Baumstrünken. Scheint ideal zu sein. Und hoperdipolperdi setzen wir auf. Nach rund einer Stunde entfalte ich meine Gliedmassen aus der fliegenden Büchse. Für lange Streckübungen bleibt keine Zeit. Die Guides setzen eine sehr ernste Mine auf. 


„Hey Guys, ihr habt absolut uns zu gehorchen. Regel eins:

Immer als Gruppe zusammen bleiben. Wir meinen nicht 20 m Ausdehnung sondern wirklich als Pulk. Der Bär sieht schlecht. So nimmt er uns als undefinierte Masse wahr. Sobald sich jemand von der Gruppe abspaltet, würde sich das ändern und diese Person lebt gefährlich. Zweitens, wer Fotos machen will: „Stopp rufen“. Drittens: Outdoor-WC kann organisiert werden. Wir  passen auf, wenn ihr in die Büsche müsst.“

Wir sind instruiert. Die Wanderung beginnt. Zac vorne, der andere Guide hinten. 

Wir schreiten dem Fluss entlang. 15 Minuten. Voilà!! Ein Braunbär am Fischen. Wunderbar. Von hier aus können wir das Treiben gut in Deckung beobachten. Aber Zac:

„Ihr müsst nicht fotografieren.... ihr seid bald viel viel näher.“ 

In mir: „Schreck... näher? Reicht doch tipp topp. 200 Meter.“

Wir horchen den Erzählungen des Guides. 800 Braunbären leben hier im Gebiet. Nur Braunbären. Ihr Name ist auch Grizzly. Sie sind Einzelgänger und Allesfresser. Hier fischen Sie nach Lachsen, die aus dem Meer zurückkehren und weiter im Fluss oben laichen werden. Sie sind clever die Mutzen. Bei Flut lassen sich viele Fische landeinwärts treiben. Das Wasser ist tief. Da wäre Jagd zu mühsam. Die Bären warten die Ebbe ab. Nun stecken die Salmons im seichten Wasser fest; leichte Beute.



Die Landschaft ist prächtig . Ich entspanne mich gerade leicht, da erfolgt der Einsatz der Gummistiefel. Durch einen Fluss waten. Bis Mitte Oberschenkel schwappt das Wasser. Ich finds witzig. Weniger relaxing die Richtung: Frontal auf den Bären zu.... und aus ihm sind drei geworden!! 

Die habe ich gar nicht bemerkt. Stay close... bleibt zusammen. Das Kommando ist eindringlich. Die Grizzlis sind beschäftigt. Ein Junger tapst im Wasser. Plantscht und spritzt. Erfolgreich ist er nicht. Lustig anzuschauen. Wir lachen. „Dürfen wir so laut sein?“ „Ja, nur nie die Tiere überraschen. Hier haben sie sich an unsere Besuche gewöhnt. Sie kennen unseren Körpergeruch und haben gelernt, dass wir ungefährlich sind.“ Aber letztlich weiss man natürlich nie. Mütter mit Kleinen sind extrem gefährlich, ebenso Bären, die Nahrung vergraben haben und meinen, diese werde ihnen streitig gemacht. Schlicht alles, was irritiert, könnte zum Angriff führen. 

„Sehr beruhigend“.... und Zac will es wissen. 


Er führt uns auf eine Kiesbank. Wir stehen still und nun ... ein Riesenapparat trabt direkt auf uns zu. Mein Blut kurz vor dem Gefrierpunkt. Der Pysiker würde das bestreiten, aber mein persönlicher Verfestigungspunkt richtet sich nicht nach Temperatur, sondern nach Distanz... das sind 40 m oder je nach Bärentagesform rund 10 Sekunden!!!! 

Alles scheint unter Kontrolle. Meister Petz beachtet uns nicht gross. Aber Hunger hat er und zum Glück nicht auf uns. 

Er, der Erfahrene, springt in den Fluss. Es platscht und pflädert und wouww; er erwischt den Lachs. 


Genau vis à vis widmet er sich seinem Festmahl. Er reisst den Geschuppten auf. Verlustiert sich am Mittelstück. Rosa-silberne Fetzen hängen aus seiner Schnauze. Kopf und Schwanz lässt er liegen. Die kreischenden Seemöven warten schon in Position. Einmaliges Beobachten. 

Wir bleiben an unserem Aussichtspunkt über eine halbe Stunde. Ja, man kann sich nicht satt sehen. Zurück geht es wieder in einem grossen Rund. Die Guides scheinen ein klein wenig berunruhigt. Sie haben einen Bären aus dem Blickfeld verloren. In der Nähe der Flugzeuge? Unsere Begleiter äugen immer wieder auf das hohe Gras. Am Boden sehen wir tellergrosse Tatzenabdrücke. Langsam, aber stetig nähern wir uns dem Landeplatz. Meister Petz ist nicht hier, aber 

ich bin schon froh, als ich mich wieder in unsere Propellermücke klemmen darf. 


Noch ein letzter Blick zurück auf die Flusslandschaft. Wildes Land. 


Diese Stunden bleiben unvergesslich.


Aug in Aug mit Grizzly.

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Kommentare: 6
  • #1

    Werner Weber (Donnerstag, 30 August 2018 18:16)

    Ich konnte die Spannung aufgrund der Beschreibung so richtig spüren. Ich hätte auch ein wenig Angst gehabt.

  • #2

    Jean-Pierre (Donnerstag, 30 August 2018 21:24)

    Ich habe das Gefühl, ich sei dabei gewesen. Dabei sind mit die Lachse fast wichtiger als die Bären. Auf die könnte ich beim Fischen gut verzichten.

  • #3

    Albert Müller (Donnerstag, 30 August 2018 22:52)

    Wahnsinnig, was du alles unternimmst und erlebst - aber gemäss einem Zeitungsbericht hat vor kurzem ein Eisbär nicht Lachs sondern einen Menschen gegessen. Deine grossartigen Fotos - so nah, dass man die "rosa-silbernen Fetzen" leuchtend sehen kann...

  • #4

    Hansueli Maerki (Donnerstag, 30 August 2018 23:13)

    Habe in der Nähe 7 Jahre lang gefischt und Duzende von Bären gesehen und einige auf 10 Meter Distanz mit dem Boot umfahren! Unheimlich spannend und voller Adrenalin!!! Super Erlebnis in der Tat

  • #5

    Cornelia (Freitag, 31 August 2018 12:32)

    Sitze warm in der S-Bahn. Dein Bericht ist sooo spanend, dass es mir kalt den Rücken runterläuft. Die (An-)Spannung ist mit Hände zugreife
    n. Danke �

  • #6

    Renate Jauch-Wagner (Dienstag, 11 September 2018 10:45)

    einfach spitzemässig "Saugut" ... weiter so :-)