Gletscherfahrt mit Polargirl

Das ausladend-köstliche Frühstücksbuffet der Funken-Lodge lässt in mir den meteorologischen Funken nicht springen. Gut, man weiss es. Wetter ist Glückssache hier oben. Umsonst haben alle Reiseteilnehmer ihre Wetterapps gezückt. Sämtliche geben unmissverständlich Regen an... nur Adis Phone, also dasjenige des Arztes, zeigt Sonne. Ausgerechnet heute: Die 8-Stunden-Schifftour zu den kalbernden Gletschern und nach Barentsburg!

Etwas missmutig schnüre ich die Schuhe. In Anbetracht der Kälte: Meine Aluminiumsohlen habe ich hineingelegt. Mein „personal“ Physiker wird mir noch beibringen, dass diese Idee falsch war.

Tja mein Erwartungspegel ist null. Ich werd nix sehen bis wir am Nachmittag in Barentsburg sind. 

Unten am Hafen wartet das Schiff mit dem verführerischen Namen: „Polargirl“. Wenigstens etwas zum Schmunzeln und vielleicht wird es ja trotzdem noch spannend: 


Auf dem Unterdeck bemerke ich eine Wandtafel. Für alle seit Mai beobachteten Tiere wird eine Strichliste geführt. Doch einiges dabei.

Zuerst gehört das Wort „Jako“.

Der Hüne pflanzt sich vor uns aus. Schwimmwesten-Demo. Programm: Gletscher - Mittagessen - Barentsburg.


Mir ist nach Indoor. Aber Jako empfiehlt das Gegenteil. Schliesslich ist er Guide. Und er braucht Publikum. Also an die frische Luft zum Bug.

Zuerst lenkt Jako unsere Aufmerksamkeit auf einen unscheinbaren Bunker an der Bergflanke. Der globale „Samentresor“. Norwegen führt hier im Permafrost die grösste Samenbank der Welt zur Konservierung und Erhaltung der Pflanzenarten. Alle Länder können sich beteiligen und Material abliefern. 154‘000 Sorten Weizen, 45‘000 Sorten Bohnen haben sie. Nur so als Beispiel.

Da ... in der Mitte des Berges, soweit dieser zu sehen ist. Ein Gehütte. Die Mine Nummer 4! Heute stillgelegt. Der Wind pfeifft mir um die Ohren. Jako hat selbstverständlich noch Willem Barentz, den Kohleabbau und die Forschungsstationen im Repertoir. 

Danach haben wir Freigang auf dem Boot. Zeit für eine kleine Privatunterhaltung. Ob er Norweger sei?

Nein, er grinst: „St. Petersburg“. 

„Ich bin im Sommer da, ehemaliger Lehrer.... jetzt Tourguide.“

In der Käptnslounge lümmle ich mich auf das bordeauxrote Sofa. Es war wohl mal eine teure Anschaffung, Leder. Massarbeit wie es sich in einem Halbkreis um die Wände schwingt. Ich setze mich und sinke, sinke. Es hat sein Alter, durchgesessen. Aber bequem... da komm ich so schnell nicht mehr hoch. Die Gesprächsgeräusche werden immer ferner, der Motor tuckert.....ich entgleite... bis meine Retina sich meldet. Ein Reiz. Ich blienzle. Es katapultiert mich fast aus meiner Wohlfühlmulde: Sonne!!! Sonne!!! Blaue Himmelsfenster!!!

Adis App bekommt 100 Punkte.


Zack und an Deck. Wir nähern uns dem Gletscher. Ich könnt heulen vor Freude. Genau jetzt enthüllen die Wolken das Spiel von Eis und Himmel. Im Hintergrund die schieferschwarzen Spitzen im Kontrast mit dem krackligen Eis.


Da braucht es keine Worte. 


Es werde Bild. 

Aber auch innere Stille. Rundherum spotten sie nach Robben.  Und da räckelt sich auch wirklich eine. Aber meistens verharre ich an der Reling und schaue.... schaue nur. Es ist kalt und in mir warm... warm!

Jako bittet zum Mittagessen. Unterdeck. Sein Kollege hat Lachsuppe gekocht. Hey all ihr Gourmetköche in allen Ländern: Aus dem Kartonteller, aber das ist Suppe. Genial! Und noch genialer: Wir essen draussen. Milde Luft ist aufgekommen. Trotzdem ist mir an den Füssen kalt. Professor Werner Gruber schmunzelt: „Aluminium Sohlen! Der Boden des Schiffs ist auch aus Metall! Wohin soll denn so abgeleitet werden! Verstehst?!“

Das Polargirl nimmt bei ruhiger See Kurs auf Barentsburg. Tönt Norwegisch, aber wo Norwegen drauf steht, ist hier Russland drinn.

Die Russen waren schon früh als Walfänger in der Region tätig. Spitzbergen gehörte nirdens so richtig hin auf der Länderkarte. So kam es , dass 1920 der Protektoratsvertrag unterzeichnet wurde. Norwegen verwaltet das entmilitarisierte Gebiet; die Russen durften bleiben. Das galt auch im 2. Weltkrieg und nachher unter dem Kommunismus. Die Kolonie wurde jedoch eingezäunt. Wollten sich Freunde von Longeyearbyen und Barentsburg besuchen, ging das nur mit viel formulartechnischem Aufwand.

Nun kommt die Siedlung in Sicht. Sie liegt 50 m über dem Hafen auf einer Felskante.



Da erwartet uns die junge Anja. Und sie legt gleich los:

„Willkommen in der russischen Kolonie. Wir sprechen alle hier Russisch und der Lohn wird in Rubel bezahlt. Cash allerdings dürfen wir nur in Norwegischen Kronen ausgeben. Wir sind rund 1500 Leute hier. Russlands grösste Minengesellschaft betreibt eine Kohlemine. 3 Schichten pro Tag. Die Leute kommen gerne hier hin. Es gibt viel Benefits für die Arbeiter. Gute und günstige Wohnungen. Sehr grosszügiger Lohn. Deshalb hat unsere Schule auch 70 Kinder. 

Im Kommunismus galt Barentsburg als Schlaraffenland. Die russischen Führer wollten hier einen Vorzeigekommunismus vorstellen. Es gab, was es sonst nirgends in Russland gab. Frische Früchte und schöne Gebäude. Damit wollte man etwaige Besucher aus dem Westen. beindrucken.“

Die Atmosphäre ist seltsam. Ich war schon vor der „Freiheit“ in Russland. 


Und alte Bilder steigen in mir hoch. Irgendwie typisch: Am Schluss enden wir beim Alkohol. 

Die Brauerei stellt das nördlichste Bier der Welt her. Da trinke sogar ich in der unterbeleuchteten Bar ein „Amber“, das mir ein strohblonder Jüngling aus Frankfurt einschenkt.

Gar nicht schlecht.


Unten am Pier macht das Polargirl schon flott. Der Abstecher in diese andere Welt war kurz aber eindrücklich; ich wusste das alles vorher nicht. 

Nun lassen wir uns nochmals den Fahrtwind um die Nase wehen.

Dieses Wetterglück!


Kurz vor Ende der Fahrt noch eine landschaftliche Symphonie in Grün.

Das im hohen Norden. Die Natur gibt alles in dieser kurzen Sommerzeit. 

Mein Blick verliert sich im grünen Rausch

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