Kohleschwarz und Baerenweiss

Aus meinen zwei früheren Norwegen-Erfahrungen wusste ich es schon! Auf Dich wartet hier niemand. Das Rollfeld präsentiert sich, abgesehen von einen pfiiffig-orangen Propellerflieger, schwarznassglänzend und leer. 


Der Wind zerzirbelt unser Haar. Wir stehen da. Wir sind angemeldet. Wir sind bestätigt. Aber nichts. Das gelbe Auto das heranbraust, nimmt Kurs auf den technischen Teil der Maschine. 


Wir warten und betrachten die immaginäre Aussicht. Nebelwand. Dahinter wären die berühmten Berge zu sehen. Wären!! Nach gemächlichen 7 Minuten rollt ein Van heran. Ein norwegisches Urgestein mit St. Nikolaus-Rauschebart steigt aus: 

„Ach so SIE!“ Heute sei nicht gross Verkehr hier. Klar, wisse man, dass wir kommen. Aber wegen uns habe man nicht extra den Flughafen geöffnet. Er packt sechs Exemplare von uns Fluggästen in das Auto; die andern zu Fuss. Es sind nur einige Meter. Es geht zum Gitter (offenbar genannt: Talibangate), und da warten wir, was der Dinge werden soll. Mein Vorurteil, dass Norweger organisationsrenitent seien, bestärkt sich. Man hat hier alle Zeit der Welt. Nur nie aus der Ruhe. Das wird schon. Und es wird. 


Ohne den Airport je von innen gesehen zu haben, besteigen wir dann doch schon bald den Turbuss. Alles wird gut.... denn Franca, gebürtige Deutsche Geografin aus Jena, übernimmt das Kommando. Da wir draussen nur nass-kalt-neblig beschwadet werden, hängen wir an ihren Lippen, lechzen wir nach Information.... und lernen als Erstes: 


Schuhe aus!!! Und zwar immer in Innenräumen.

Ja... Franca hat eine plausible Erklärung: „Alle kommen wegen Weiss: Schnee, Eis, Polarbär. Aber der Boden ist schwarz... tief schwarz. Kohleabbau. Der feine, dunkle Staub nistet sich in jeder Ecke ein. Fast unmöglich, die Häuser rein zu halten, wenn mit Schuhwerk betreten.“ So lernen wir bereits in den ersten Minuten eine Essentialia der „kalten Küste“ norwegisch: „Svabard“. 

ER, Willem Barentz, der hier Allgegenwertige, hat die Inselgruppe so genannt. 

Und da wo sich die bekannten Bergzipfel über Gletschern erheben, bediente er sich der „kreativen“ Wortschöpfung „Spitzbergen“, eine Bezeichnung, die wir heute für die ganze Inselgruppe verwenden, obwohl damit eigentlich nur die Hauptinsel gemeint ist, auf der die nördlichste Stadt der Welt liegt. Longyearbyen.

In diesen 2000-Seelen-Städtchen bummeln wir gerade in Socken (oder mit blauen Schuhüberzügen) durch das mit Auszeichnungen und Preisen eingedeckte Museum. 

Spitzbergen oben rechts
Spitzbergen oben rechts

Franca beschäftigt sich zur Einführung erst mit ihrem Spezialgebiet. Der Geografie. Wie war das doch gleich mit dem Polarkreis? Wir liegen hier mit 78 Grad 15 N weit über dem nördlichen Polarkreis 66 Grad 33, der indiziert, dass nördlich dieser Linie die Mitternachtssonne  bewundert werden kann. Bis zum Nordpol sind es nur noch 1305 Km. In und um die Stadt gibt es nur 40 km Strasse. Freunde besuchen in andern kleinen Siedlungen geht nur per Boot. Notfall: Helikopter. Wenn der Schnee und die ewig dunklen Nächte wiederkehren, winkt eine neue Freiheit: Schneemobil. Ich habe sie schon zu hunderten herumstehen sehen.

Franca geleitet uns weiter durch den zentralen Raum. Da stehen wirklich gut dargestellt die verschiedenen Tiere. Robbe, Walross, Ren, Polarfux, Vögel und natürlich der König: Der Eisbär. Ein  präpariertes Männchen, das vor fünf Jahren in Notwehr erschossen werden musste und gut 600 kg wiegt. Vom Leben mit dem Bär werden wir noch später erfahren. Nur soviel: Wenn Du gerade auf Begrüssungsdistanz vor ihm stehst und er eine arg zerkratzte Schnauze hat, ist es ein Männchen. 

Von ganz Weiss nun zu ganz Schwarz. Nicht der Tourismus, nicht die Forschungsprojekte über Natur und Meteorologie bringen hier die Haupteinnahmequelle. Es ist Kohle von höchster Qualität.

Klar, dass das hier nicht rentiert. Aber der Norwegische Staat subventioniert massiv, obwohl das fragile Ökosystem dadurch belastet wird. Er will die Entvölkerung der Gegend verhindern. 

Die Einheimischen sollen hier ein Auskommen haben und Sicherheit.....Die Russen sind nah ... viel näher als ich dachte und morgen werde ich es hautnah erleben.


Bar Funken Lodge
Bar Funken Lodge

Vor dem Nachtessen gibt es Zimmerbezug in der „Funken Lodge“. Mir stehen Mund und Nase offen. Ehrlich, ich hatte mit einer bunt bemalten Bretterbude gerechnet. Aber, was erwartet mich? Ein Design-Hotel in the middle of nowhere. Interieur in Schwarz gehalten, stylische Bar. An der Zimmergrösse wurde zwar gespart. Aber sonst ein äusserst angenehmer Ort mit dem besten Restaurant weit und breit und trendiger Bar. Die Natursteindusche berieselt mich nicht lange. Ich muss raus. Es geht nach Camp Barentz. 


Camp das tönt schon mal nach Outdoor. Der Turbussenfahrer fliegt mit uns über die holprige Betonpiste. Rechts- oder Linksverkehr, frage ich mich. Das ist hier nicht die Frage. Man will keinen Achsenbruch und umkurvt geübt und mit Speed jedes Schlagloch.

Auf der weiten Tundra... plötzlich zwei, drei Holzhütten.....ein riesiges Tippizelt... eine Tafel „Camp Barentz“.   

Wir wollen gerade den kurzen Weg bewanderschuht unter die Füsse nehmen, da tritt uns ein bewaffneter Jüngling mit schweren Gummistiefeln  entgegen. „Stopp!“

Keinen Schritt weiter ohne mich. 

„Willkommen im Camp. Ich bin Max, Euer Bärenwächter. Ausserhalb  der Stadt ist jeder verpflichtet, eine Waffe auf sich zu tragen oder sich bewachen zu lassen. .... und bitte... falls ihr auf der Toilette bemerkt, dass ein Eisbär draussen ist... warnt uns in der Nebenhütte irgendwie... bevor ihr das Erinnerungsfoto schiesst bzw. Euer letztes!!“

Hier ist übrigens eine Bärenfalle mit selbstauslösendem Gewehr.“

Damals das effizienteste Mittel. 

Aber: Wenn ein Bär sich mit seinen 400 - 900 kg gegen die Wand einer bescheidenen Hütte drückte, war er offenbar zu clever und dann blieb nur noch der Schuss durch das Loch in der Haustüre. Heute sucht man den modus vivendi. 

Es ist eine bedrohte Spezies und im Sommer werden an Land wenig Tiere gesichtet. Sie leben auf dem Packeis. Nur dort kann der Jäger unbemerkt anschwimmen, wenn sich die Robbe auf der Scholle sonnt. Der Schutz des Bären ist allerdings duch das Abschmelzen der Gletscher bedroht und er hat kein Territorium. Es kann an Land und zu Wasser täglich 200 km zurücklegen. 

Für meinen Teil habe ich nun Bärenhunger und dafür geleitet uns Max in die traditionelle Jurte. Bänke mit Rentierfellen, ein zentales Feuer. Wir nehmen Platz. 

Max entführt uns nochmals in die Zeit des Holländers Willem Barentz, der den Seeweg, die Nord-Ost-Passage nach Asien suchte. Es ging wieder einmal um Geld. Ein effizienterer Handelsweg. Dafür wagte er alles. Er fand den Weg nicht, aber entdeckte, da wo er Wasser vermutete die weit verzweigten Inseln. Auf der dritten Expedition wurden sie vom Polarwinter überrascht. Sie musste auf einer kleinen. Insel anlanden, zimmerten aus dem Holz des Schiffes eine Hütte. Barentz starb an Scorbutt aber sechs Gefährten überlebten. Sie brachten die Karten von ihrem Kapitän mit nach Hause, als sie endlich gefunden wurden. Der Rum für Barentz Entdeckung war riesig und führte zur Namensgebung des Seeweges und diverser Lokalitäten.

Der russische Kollege von Max hat inzwischen die Rentiersuppe auf Aufwärmtemperatur hochgekocht. 

Köstlich und wäre nicht der Wein aus der Kartonschachtel gezapft worden.... ich fühlte mich als Trapperin.  Und zu dampfender Tasse Kaffee... oder zumindest etwas ähnlichem, hat Max noch einige „gefährliche Geschichten“ auf Lager. Wir rücken zusammen, hören zu, wärmen die Hände an der Tasse. 

Ist es nicht wie damals... als Kind... der Grossvater erzählte.


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