Ungeplante Stunden

Eine Mischung aus Eloquenz, Kreativität und Servilität. Ich beschäftige mich noch einmal mit dem Berufsbild des Conciergen. Eine besondere Spezies. Ihm entgeht nichts und gleichwohl kann er sich hinter dem Thresen praktisch  unsichtbar machen, um in der nächsten Sekunde volle Präsenz zu markieren. „Meiner“ wirkt aktuell  höchst transparent, fast komplett durchsichtig, bis ich ihn auf ein Taxi anspreche. Und gerade deshalb überrascht er. Er hat die Fäden bereits gezogen, und so mache ich mit  „Wasym“ Bekanntschaft, den ich eigentlich schon kenne, aber nie erwartet hätte, ihn wiederzusehen. Klammer geöffnet: Wasym hatte mich nämlich schon Tage zuvor mit seinem Mercedes-Nero-Hochglanz ins Hotel NewYork kutschiert. Ein schlechtes Geschäft; Kurze Fahrt! Klammer geschlossen. 

Mein Concierge bestellt zu meiner Verwunderung gar kein Taxi, sondern meint, beiläufig und ohne Augenkontakt, ich solle doch einfach nach draussen gehen. Ich schnuppere also Vorplatzluft und wer winkt da fröhlich lachend?“ Wasym entsteigt seiner hochgepützelten Sternekarrosse. „Madame, it is your day!! Sie haben doch noch plenty of time oder?“ Erst jetzt erhellt sich mir, dass Wasym und der Concierge beides Pakistani sind und der Erstere mitbekommen haben muss, dass mein Flug erst am Abend abheben wird und der Zweite sich offenbar mit ihm über mich unterhalten hat. 


Ich kann mir das Schmunzeln wirklich nicht verkneifen. Clever die 2!! Soll ich das jetzt aufdringlich finden oder offen sein? Der Weg zur SS Rotterdam, die ich besichtigen möchte, wird Klärung bringen. Eigentlich habe ich sonst nicht mehr viel Grossartiges vor. Mich treiben lassen, beobachten Schreiben?  Ich lasse Wasym seine Ideen für die nächsten Stunden vortragen und schliesslich entwickeln wir auf die Schnelle einen Exkursionsplan, drücken punkto Preis gegenseitig auf die Tränendrüsen und einigen uns begreffend Ziele auf Carte Blanche und in Bezug auf Kosten auf einen Cap bis 17.00 Uhr inkl. Absetzen beim Flughafen. 

Plötzlich offenbart der Tag völlig neue Perpektiven. Ganz nach meinem Geschmack! Das wird wieder umtriebig, denn mein neuer Chauffeur bekommt gleich mehrere Wünsche angetragen.

Zuerst fahren wir mal ganz edel am alten Kreuzer vor. Parking? Nein, Wasym hüpft aus dem Wagen. „Wir sind Taxi; wir kriegen keine Busse.“ „Perfetto!“

Natürlich wird aus der Schiffsführung mit der ich geliebäugelt hatte nichts. Schliesslich ist mein Zeitmanagement nun  gestrafft. Wasym sieht da kein Problem. „Ich zeige Ihnen das Schiff.“ Die SS Rotterdam ist heute ein 4 ****Hotel. Ich möchte unbedingt das Pooldeck besichtigen. Dort hätte, nach meiner ursprünglichen Immagination, mein Lunch stattgefunden. Programm über Bord. Ich hefte mich an Wasyms  Kalbslederschuhe. Schon jetzt beginnen seine Reiseführerqualitäten zu bröckeln. Wir irren; wir verirren. Lift hoch; Lift runter. Von Bar bis Wäscherei... nur kein Pool. Zum Glück....steht da an  der Ecke des Aufzuges zum Hauptdeck „Peter“. 

Massgeschneiderte Uniform, Goldstreifen. Ich bin entzückt. „Sie sind der Kapitän?“  Ich schmelze bereits in Traumschiffmanier. Peter lacht herzlich: „Nur Gastgeber. Wir sind 250 Freiwillige, die für Rundgänge und Auskünfte zur Verfügung stehen. Er ortet mich via Akzent als Schweizerin. 15 Jahre hätte er in Baden gearbeitet. Immer noch vermisse er die Schweiz. Seine Tochter ziehe jetzt von da wieder nach Holland. „Wie kann man nur ein so gutes und schönes Land verlassen.“ In seiner Stimme schwingt Wehmut. „Gegen Schweizweh hätte ich mein Ferienhaus anzubieten“, meine ich leicht geschäftstüchtig. Peter stürzt sich auf meine Visitenkarte www.hausamzugersee.ch. Jetzt strahlt er. „Ja wir Holländer mögen Ferienhäuser. Vielleicht, wer weiss?“ 


Jetzt soll Peter aber ein wenig aus dem Reisekoffer der Schiffshistorie plaudern. Ganz raffiniert seien die Treppen im Schiff konstruiert. 1. und 2. Klasse hätten sich während der ganzen Reise nie gesehen. Auf den Treppen baute man Trennwände ein, welche neugierige Blicke auf die andere Clientel verhinderten. Ach und da gäbe es noch soooo viel zu erzählen. Die Smokerslounge sei aber unbedingt einen Besuch wert. Da hängt an einer Stelle ein rohes Elektrokabel von der Decke und zwar seit dem Tag der Jungfernfahrt 1959. Die Kronprinzessin Beatrix sei nämlich mit von Partie gewesen. Sie wollte Ihren Sitzplatz unerwartet  just in einer wenig beleuchteten Zone. Deshalb montierte man über ihrem Sessel kreativ eine zusätzliche Lampe. Das Kabel blieb als Erinnerung. 


Peter, wir müssen weiter... und wo ist der Pool? Peter drückt den Fahrstuhl herunter. „Pooldeck... ist doch klar.“ Doch noch gefunden. Durch das Restaurant hindurch. 

Blank gescheuertes Deck, Das Holz schimmert im Bläunlichsilberton. Das Schwimmbad aquamarin. Ich hätte einen Campari mit einer Orangenscheibe bestellt. Das Glas gehoben bis das Korallerot des Drinks mit dem Blau des Pools kontrastierte. Augentrunk!

Wasym hüstelt leise. Ja... ja...vengo (ich komme). Ich hätte auf der SS Rotterdam noch lange verweilen können. Übernachten... an einer der verschiedenen Führungen teilnehmen oder.... die Escapekabine besuchen und in max. einer Stunde herausfinden, wie ich herauskomme. Heraus, ohne escape geht es wieder zum Taxi. Wasym befragt seine drei GPS Systeme nach Parkfeldern in Gouda. Und los geht es. Noch schnell den Koffer im Hotel abholen und jetzt freuen wir uns auf Käse, nichts als Käse.

Bald stehen wir auf dem berühmten Markplatz. Leeeeer!

Käse? Ja wo ist denn der Käsemärkt? Eine Waffelbäckerin mit Pfausbacken, die einen kleinen Stand mit frischen Strohwaffeln betreibt, weiss es. „Der Markt beginnt erst im Mai... aber nur Dienstag. Leise Enttäuschung. Zu gern hätte ich dem Feilschen der Käser zugesehen. Den Handschlag beobachtet, der das Geschäft um die runden Laiber besiegelt. Einen Minitrost erhalte ich zumindest im Tourismusbüro in wunderschönem Gebäude.  Das ganze Sortiment Gouda ist ausgestellt und wird feilgeboten. Man unterscheide Käse aus pasterisierter Milch und Rohmilch. Ich möchte es würzig. Für diesen Geschmack sei „Vintage“, 3 Jahre gereift, meine Wahl. 

Und ich muss sagen... ich hätte noch üppiger zugreifen sollen. Zuhause wird er sein Temperament ausspielen. Wie ein Sprienz. Brockig, hart, salzig-rezent. Goudastisch!!!

Im Verkaufsraum wird durchaus ein wenig Marktkulisse geboten. Die grossen Laiber, die Waagen....es hat Caché und das Rathaus ist ein achitektonischer Hingucker. Es erntet meine Klicks. 4...5...6.

Auch Wasym ist begeistert... ich denke, er war noch nie hier!!!

Allerdings verspürt er ein Bedürfnis. Hunger! Wie wo was? Er grinst und antwortet „halal“. „So so Moslem? Lässt sich hier was finden?“

Wasym hat den Halalblick und bald beisst er in ein Hühnersandwich; ich probiere eine warme Strohwaffel... sie bröselt... knackt... honigsüss. Wir sitzen auf einer Bank mitten in der Einkaufszone. Nicht gerade mein Pooldeck... aber sehr authentisch. Er erzählt von seinen Töchtern. Eine möchte Marsastronautin werden.

Wir konsultieren die Uhr. Falls wir noch nach Delft möchten, sollten bald wir unser Gefährt aus der Parkgarage kurven. 

Direttissima Autobahn. In 30 Minuten erreichen wir das Städtchen mit dem weltberühmten blauen Porzellan. 

Wieder dominiert ein prächtiges Rathaus den Hauptplatz, der gesäumt ist mit Manufakturläden. Vom Inder Ajit hatte ich ja in Keuckenhof (Blog: „Tulpomania“) gelernt, dass man sich nicht auf das erst Beste stürtzt. Also schlendere ich ganz nach hinten... ohhh Ajit: Wie recht Du hast!“ Ein Antikladen mit alten Fayancen. 


Wer Freude an alter Keramik hat, findet hier bei „Gijl“ sein weissblaues Glück. 

Wir spazieren weiter. Die Stadt hat Charme. Klein Amsterdam. Unzählige Kanäle, Wasym schaut sehnsüchtig einem flachen Boot nach, das gerade unter  einer Brücke verschwindet. 

Haben wir noch ..... für eine Runde... ? 45 Min. Ich lade ihn ein. Madame, herzlichen Dank, ich war noch nie auf einer solchen Fahrt. 

Floris, der Student für Maschinenbau, heisst uns willkommen. Mit gut 20 Passagieren legt er flüsterleise ab. Das sei das erste elektrisch betriebene Ausflugsboot der Stadt. Stolz blitzt in seinen Augen. 

Wir tuckern bereits durch die Grachten. Floris weiss viel zu erzählen über die Stadt der Keramik. 2 interessante Aussagen bleiben hängen. Pro Jahr werden ca. 1000 Fahrräder aus den Kanälen gezogen. Kaputt? Einsorgung alla Gracht.

Ein ganz anderes Thema bezieht sich auf die Einteilung der Fenster an den Häusern. Im Mittelalter musste man pro Anzahl  Fenster Steuern bezahlen. Wer nun meint, man hätte danach getrachtet, möglichst wenige zu haben, irrt. Im Gegenteil, die vermögenden Hausherren liessen möglichst viele kleine Fensterchen einbauen, um den Nachbarn kundzutun, dass sie reich genug seien, um die höhere Taxen zu berappen. Das waren noch Zeiten!

Ich lasse die Szenerien an mir vorbeigleiten. Der Kommentar von Floris geht etwas unter. Wasym macht gerade ein Nickerchen und ich bin einfach vollgesogen, von all den Eindrücken der letzten Tage.


So endet diese Reise ganz relaxed, gemütlich. Am Flughafen eine herzliche Umarmung für Wasym. „Kommen Sie bald wieder und take care!“

Er muss schon wieder weiter. Der nächste Kunde hatte schon vor einer halben Stunde angerufen.

Ich sehe noch die roten Lichter seiner Limousine. Er fädelt sich in den Verkehr ein. Verschmilzt im Strom der Unbekannten. Aber mit ihm, Wasym, dem Pakistaner, habe ich 6 Stunden geteilt. Und ob dies Zufall war oder nicht... 



Es war ungeplant gut.


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