Bji de Windmolens

„Die direkte Verbindung nach Kinderdjik funktioniert leider erst ab 1. Mai..... Madame.“ Unter seinen buschigen schwarzen Augenbrauen macht sich halbechtes Mitleid breit. Mit dem echten Teil greift mein Concierge doch noch zum Hörer und telefoniert sich durch. Die Auskunft bleibt die gleiche. 

„Ich kann Ihnen das UNESCO WELTKULTURERBE wirklich sehr empfehlen.  


Eine von Hollands interessantesten Sehenswürdigkeiten. 19 Windmühlen in fast unberührter Landschaft.  Aber zurzeit nur mit öffentlichem Verkehr: 4 Stationen Metro und dann mit Bus 90 weiter und nachher wandern oder Fahrrad!!“ Ich schaue ihm zu, wie er minutiös alle Details der Anfahrt aufschreibt, ab und zu hebt er den Blick, sieht mich eindringlich an. Es meldet sich genau jetzt. Mein Bauchgefühl und es moniert: „Was ist Dein alter Reisegrundsatz? Gib Dich nicht mit der ersten Auskunft zufrieden, vor allem, wenn sie Dir nicht passt.“ Natürlich erntet der Herr mein lächelndes Danke.  Seine Karte verschwindet in der Tasche. Hoffentlich schaut er mir nicht nach, denn ich nehme die Gegenrichtung zur Metro. Ich will es Schwarz auf Weiss an der Landebrücke sehen, dass Waterbus 202 heute nicht fährt. In 5 Minuten bin ich vor Ort.... und miracle now...die elektronische Anzeige: „10.35 Linie 202 via Kinderdjik. „YESSSSSS!!!“



Mein interner Triumph!!! Ich bin zu früh, aber das nehme ich gerne in Kauf. China, Indien und halb Europa scheint das auch mitbekommen zu haben, obwohl die Plakate beim Fahrplan zweifelsfrei angeben, dass Direktverbindungen erst ab 1. Mai angeboten werden. Den Ungläubigen gehört die Welt. Fahrkarten für rund 5 € verkauft an Bord der Schaffner. Ich spreche ihn an: „Ist diese Fahrt eine Ausnahme wegen dem guten Wetter.?“ Er grinst: “Nein, nein.....im April immer Samstag und Sonntag,  aber das bewerben wir nicht.“ Ich lehne mich genüsslich im Sitz zurück. Breite Zufriedenheit durchwandert mich. Gut gibt es das Bauchgefühl.

Der Wasserbus legt zügig ab und nimmt Kurs flussaufwärts. Endziel: Dortrecht, die älteste Stadt des Landes, die auch eine Visite wert sei, aber ich werde ja vorher aussteigen.

Nach gut 25 Minuten bin ich schon am Ziel. Vorbei am Souveniershop und schon kann ich die Mühlen entlang des Kanales sehen. Alle Besucher strömen zum Fahrkartenhäuschen. Es gibt die „Cruise“; sie erkundet ein wenig weiter in die Kanäle hinein oder die Shuttlevariante. Hier werden diverse Stopps geboten. Eigentlich meinte die Dame  vom Tickethäuschen, es wäre sinnvoll, zuerst den Film über die Anlage zu schauen. Aber heute bin ich stur aufgestanden, was sich bereits bewährt hat und die Observation des Himmels zeigt dunkles Gewölk, das unbemerkt aufgezogen ist. 

Das Schiff hat kein Dach. Also nix wie los. Ich fahre unwissend, doch mit höchstem Genuss. Die Gewitterstimmung animiert meine Experimentierfreude. Meine Lumix darf sich mit jedem erdenklichen Filter auf die Mühlen stürzen. Wouww immer wieder eine neue Überraschung.

Schwarz-weiss....

dynamisch.... 

expressiv....

sepia.

Ich habe meine helle Freude. Vom Kapitän gibt es Interssantes über die „Sprache“ der Windmühlen zu erfahren. Per Position der Mühlenflügel wurden früher Signale oder Informationen ausgetauscht. Pause= Position 12-3-6-9

Feierabend: Ein X

Freudenschere nennt man die Stellung bei Hochzeiten oder Familienfesten: 1-4-7-10, die Trauerschere bei Todesfällen: 2-5-8-11. Sofort mache ich mich an die Entschlüsselung. Natürlich: Fast alle Mühlen zeigen die Freudenschere, 


oder die Pause. 

Die Fahrt ist beschaulich. Gänse führen ihre Jungmannschaft auf dem Wasser spazieren. Die Mühlen spiegeln sich da und dort schemenhaft im Kanal, das Schilf wiegt sich. Die Obstbäume geben sich im reinen Tüllkleid, weiss. Eine Wolkenwand kontrastiert mit Dramatik. Als die ersten Tropfen fallen, schimmert sich noch ein ganz zarter Regenbogen über die Szenerie.  Ich möchte verweilen. Rosé, Gold und Pfauengrün in zarten Pastell im Wolkenschleier. Dicke Tropfen platschen auf meinen Arm.  Ich rette mich in die Pumpstation. 

Der Film wartet. Didaktisch nach neuster Methodik präsentiert, führt er mich ganz unerwartet zu einer Sage aus meiner lieben Stadt ZUG. 

Die Moderatoren begeben sich im Film auf die Suche nach der Herkunft des Namens „Kinderdjik“ „Kinderdeich“. Im Jahre 1420 sei das Gebiet von der riesigen Elisabethenflut heimgesucht worden. Viele Menschen (auch Kinder seien ertrunken). Doch es habe ein Wunder gegeben. Man entdeckte eine Holzwiege, auf den Wellen treibend. Ein Baby lag darin, lebend! Das Pendant zur Geschichte vom Altstadteinsturz von Zug 1435!!!

Es geht  bei uns die Weise, dass vom alteingesessenen Geschlecht der „Wickart“ nur dieses eine Kind, ein Junge, der in einer Wiege auf dem Wasser gerettet wurde, überlebt habe und er dementsprechend der Urahne aller heutigen Abkömmlige der Familie sei. Solche Parallelen interessieren mich als Stadtführerin selbstredlich und ebenfalls die Tatsache, dass ich auf einer grossen heraldischen Karte von Rotterdam auch noch das gleiche Wappen wie Kanton und Stadt Zug entdecke. Weiss Blau Weiss. Ich finde nichts Recherchierbares. Vielleicht weiss jemand der Lesenden mehr? 

Ausschnitt aus einer Rotterdamer Stadtkarte
Ausschnitt aus einer Rotterdamer Stadtkarte

Der Film entführt mich in die Historie der Mühlen und in  das omnipräsente Thema, wie die Niederlande dem Wasser das Land abtrotzen. Die Mühlen pumpten das Wasser aus den Sümpfen, leiteten es um. Es wurde Land. 

Pumpstation
Pumpstation

Ein grosses Know-How, das später mit Dampfmaschinen und heute mit ausgefeilter Pumpentechnik Tag für Tag für die Existenz des Landes sorgt. Nur Dank dem intelligenten Wassermanagement ist die Region bewohnbar. Ohne? Die Niederlanden wären innert Tagen unter Wasser. 


Zum Schluss darf ein Besuch in einer der Museumsmühlen nicht fehlen. 

In der Mühle
In der Mühle

Die alten Zeiten sind zurück. Das karge Leben der Müller, welche die Windräder betreuten und bewohnten. 

Ohh  schon 14.00 Uhr.  Der Waterbus tritt die Rückreise nach Rotterdam an. Das Ufer der Maas geizt nicht mit Stimmungen, Coolness. 

Der Wind pflügt die Wellen. Silber... die Hochhäuser als schwarze eratische Blöcke, die Krähne am Horizont. Ich bin nicht die Einzige, die das Schaupiel betrachtet. 

Ich betrete mein Hotel durch den Hintereingang; ich möchte nicht dem Concierge darüber berichten, wie es in der Metro war! 


Mein Tag war perfekt!

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Kommentare: 3
  • #1

    Willy Sturzenegger (Dienstag, 01 Mai 2018 09:27)

    Danke für all die wunderbaren Berichte von Ihnen! Immer ein Genuss zu lesen, Einkehr zu halten und zu träumen; gerade für einen Simultanten (bitte richtig lesen) wie mich. Diesen Beitrag finde ich den „abgerundesten“, auch der pics wegen - genial! Noch etwas zu den beiden Sagen: erst dachte ich, ein kluger Zuger Kaufann (oder Viehhändler) hat die Sage aus den Niederlanden mit nachhause gebracht... Aber wie kommt dann das Zuger Wappen nach Norden? Ein Geschenk des Zugers an seine Gastgeber? Mein Wunsch ist, Sie bald wieder lesen zu dürfen. Danke und alles Liebe und Gute.

  • #2

    Elisabeth Huber (Dienstag, 1. Mai 2018, 15:45 (Dienstag, 01 Mai 2018 16:22)

    Wie immer sind Deine «farbigen» Berichte faszinierend und ziehen mich in den Bann. Oft habe ich sogar das Gefühl, mit DIR auf dem Entdeckungsausflug zu sein, so sehr fesseln mich die interessanten Schilderungen und fühle mich mitten im Geschehen.
    Natürlich finde ich als Stadtführerin die Sage der «Elisabethen-Wiege» oder « Kinderdjik-Wiege» und das Pendant zu unserer Wickart-Wiege besonders fesselnd. Zudem die Katastrophen innerhalb von 15 Jahren passierten.
    Und schon freue ich mich auf Deine nächsten Reiseberichte. Danke für die spannenden Lektüren. Elisabeth

  • #3

    Jean-pierre Mosimann (Freitag, 04 Mai 2018 16:43)

    Liebe Franziska, wir waren im letzten Jahr am gleichen Ort. Wenn man mit Dir lesend mitreist, so hat man das Gefühl, alles noch einmal zu erleben. Du nimmst dem Ganzen mit Deinen Schilderungen den von uns etwas empfundenen Kommerztuch.