De Haven

Ich sitze gerade auf der Terrasse des Hotels New York und lasse die letzten 48 Stunden Revue passieren. Wie waren doch die Kommentare gewesen? „Was.... Rotterdam? Das ist doch 2. oder gar 3. Wahl.“ Exakt, das dachte ich auch (noch!!). Amsterdam ist putzig und romantisch. Rotterdam, das ergeben meine Recherchen, wird nicht mit dem Jö-Faktor auftrumpfen können. Total zerbombt! Das ist doch nur Hafen: De Haven!

Der hochgewachsene Kellner hat gerade ein gluschtiges Carpaccio aufgetragen. Lockere Stimmung. Die Einheimischen sind „superhappy“. Die Temperatur liegt auf niederländischem Sommerniveau. Alles drängt nach dem zächen Vorfrühling nach draussen.

Über mir glänzt in goldenen Lettern die Historie  des Hotels, „HOLLAND AMERIKA LIJN“. In diesen Räumen betrieb ursprünglich die Holland Amerika Linie das damals junge Geschäft mit der Auswanderung. 

Wie viele Abenteuer fanden hier ihren Anfang. „Amerika!! Wir kommen.“ Am Pier lagen die ersten Transatlantik-

Riesen.

Bereit,  mit hoffnungsvollen Passagieren in den neuen Traum zu starten. Wenn das Schiff die finalen Sirenen ausschickte, flogen an Land die Hüte der Zurückgebliebenen in die Luft. Ein letztes Rufen, Winken, die verborgenen Tränen...bis die Kurve der Maas das Schiff verschluckte. Ein letzter Rauch stieg gegen den Himmel.

Das Hotel New York atmet immer noch diesen Geist. Das Bistrorestaurant kann 400  Gäste bedienen.

Geschirr- und Besteckklappern widerschlägt sich an den meterhohen Decken. Die Uhr hat vor langer Zeit ihre Zeiger angehalten aber der Raum lebt im Heute.  Ein Ort zum Lesen, Plaudern, Lachen, Schmausen..... Schreiben.... verchromte Flügel von Ventilatoren kreisen.

Dahin werde ich mich jetzt zurückziehen. Noch einen Blick auf die Liegestühle vor der Mole. Chillen à la Rotterdam. 

Das ist übrigens das Erste, was mir aufgefallen ist. Die 630’000-Menschen-Stadt strahlt eine gewisse Gelassenheit aus. Nicht viel von der Hektik zu merken, die ich dem 4. grössten Hafen der Welt zugeordnet hätte und ebenfalls für Reisende praktisch: Ihre Erreichbarkeit. Da hatte ich mich gerade im Schnellzug vom Flughafen Schiphol in Richtung Breda (via Rotterdam) gesetzt und meine Belongings gebüschelt, da erinnerte mich der Lautsprecher nach sagenhaften 23 Minuten ans Aussteigen. Im baulich sehr ansprechenden Bahnhof kann man bei der Tourist-Info auch gleich die Visitorkarte für freie Fahrt erstehen. 


Und ab zum Hotel am Leuehave. Das Mainport Hotel überzeugt durch geniale Lage und den Blick! Der Glaslift hievt mich in den 9. Stock und ich äuge vom Zimmer direkt in das Gestänge eines alten gelben Krahns. 

Unter mir die Kutter, die, im alten Hafen vertäut, auf ihre Kapitäne warten. 


Von meiner Designherberge aus, bin ich in 4 Minuten schon unter der eleganten Erasmusbrücke. Da muss man hin. Willhelmsplain. Fast alle Touren haben hier Besammlung und natürlich kommt man nicht um „Spido“ herum. Das Unternehmen ist hier Platzhirsch für Hafenrundfahrten diverser Ausdehnung. 


Auch ich boarde für 75 Minuten die Klassik-Runde.

Auf der Fahrt auf dem schnittigen Schiff erfahre ich schon mal einiges an Basics.  Zuerst kriege ich geografischen Nachhilfeunterricht. Rotterdam war für mich immer das Ende des Rheins. Richtig,  aber nicht nur. Hier enden gleich: Ahh es wird kompliziert. Mehrere Rheinarme, alte Maas, neue Maas und weitere Flüsse. 


Die verzweigten Ausläufer der Wasserwege ergeben eine wunderbare Vielzahl von geschützten kleinen Häfen, die heute die Innenstadt durchziehen und für ein tolles Ambiente sorgen. 


Die Sprecherin auf dem Spido betont nochmals, dass Schiff und Wasser die zentralen Themen der Stadt seien.

Wir passieren die kubistisch inspirierte Schule für Hochseeschiffahrt und punkto Schiff: Gerade in diesem Moment entdecke ich backbord das Boot, dass ich eigentlich als Alternative zu Spido gesucht hatte.  Das „Pancakeboat“. Es ist schon eine ältere Lady, tuckert viel gemütlicher den Werften entlang und setzt auf spezielle Kulinarik. Man kommt, um Pfannkuchen à discrétion zu schlecken. Zimt&Zucker oder schockoladig oder mit Beerentraum... hmm...aber nichts da.... mein Abendprogramm wird es in sich haben. Deshalb jetzt erst recht in die Sneakers. 

Es wird läufig. und ich habe es auf Architektur abgesehen. Die gelben Kubushäuser sind ein Knüller, wenigstens optisch. Und viel Licht hätten sie. Aber wie das schiefe Wohnen sonst so abläuft? 

Es gibt tolle Bauführungen in der Stadt, die diese Bauten ausführlich besprechen und ebenso mein nächstes Ziel. 

Ein Bild von ihr, der Markhalle, hatte mich nämlich erst auf Rotterdam aufmerksam gemacht. Ich staune vor ihr. Ein riesiges Hufeisen nach unten geöffnet. Ein grossartiges Gebäude, das Wohnen, Kunst und Essen miteinander verbindet. Ich trete durch die Glastüre und die Augen heben sich.

Ein ganzer Himmel voller Farben. Blumen, Früchte, Gemüse, Sommervögel, Gräser ...ein Bogen der Lebensbeschwingtheit. 

Zu dieser Impression mischt sich nun ein Duftkonzert. Von diversen Seiten beschwaden mich  gaumenverliebte Botschaften. Die Stände sind alle sehr sorgfältig und geschmackvoll gestaltet. Allerdings ist hier weniger das reine Naturprodukt im Zentrum, sondern das verarbeitete Ergebnis. 


„Monsieur Saucisson“ hält nicht weniger als 35 Wurstsorten feil und lockt mit einem originellen Standdesign in Wandtafeloptik. 

Gleich daneben schmachten mich zuckerbunte Cup-Cakes an, herrlichst beworben mit dem Satz: „Cup-cakes are muffins that believe in miracles!“

Essen kann man hier natürlich auch. Viele Stände haben eine Essecke und für Tranksame ist ebenfalls gesorgt. Mein Neugier treibt mich zum Unbekannten. Die rote Drachenfrucht! Die Degustation ergibt die spannende Fusion von Himbeer- und Kiwinoten und zum Schluss zücke ich la Borsa um in die Gesundheit samt Vernügen zu investieren. Ein Spiralschäler. Ein kleines Gerät vergleichbar mit einem überdimensionierten Spitzer. Zucchetti, Karotten, Rettich und mehr können damit in spaghettiartige Kringel geraspelt werden. Kurz gedämpft und mit einer feinen Sauce garniert. Und schon ist die Pastafalle umschifft. Rein theoretisch!


Im Hotel New York, ausgestattet auch mit verlockender Oesterbar, lechzt die Kellnerin nämlich adesso nach weiterer Bestellung. Und so lasse ich mich verführen, denn ich habe Wartezeit und nachher noch etwas vor. Um 21.15 Uhr. Aber bitte pünktlich. Zeit ist Geld. Zumindest bei dieser Aktivität. 

Schon am Mittag waren mir die kleinen schwarz-gelben Boote aufgefallen, die mit tempo presto duch die Wellen der Maas pflügen und dabei waghalsige Kurven schneiden.  Es existieren zahlreiche Punkte am Wasser, wo eine Fahne anzeigt: „Hier gibt es Wassertaxis.“

Man findet dort eine Tafel mit Rufnummer. Es wird einem dann mitgeteilt, wie lange es dauert, bis eines zur Verfügung stehen wird.

Alle zugestiegen?  Sogleich  spediert der Fahrer Einzelpersonen oder Gruppen zu max. ca. 8 Personen im horrenden Tempo zum gewünschten Punkt. 

1 Minute = 2 Euro. 

Meine Erkundungsrunde am Hotel NY hatte ergeben, dass die Taxizentrale gleich am Dok liegt und  mein Besuch dort, dass ich erfreulicherweise eine Abendtour buchen kann. 15 Minuten Skyline by night. 

Die Windjacke ist montiert. 21.13 Uhr; das Boot braust an. Elegant gewendet. Die Wellen schlagen schaumig an die Quaimauer. Jan, steckt die Hand aus dem Fenster:„Achtung Stufe. Was wollen Sie sehen?“ „Unter der Brücke durch; dann in den alten Hafen und so zu meinem Hotel.“ Klare Anweisung. Keine Zeit für langes Gelafer.  „Nej, nej!! Unmöglich. Ich kann wegen den verschieden hohen Wasserständen nicht durch die alten Häfen durchfahren.“ „Und nun ?“ Tja, Jan wird nun seine übliche Nachtour durchflitzen. 

Ich darf auf dem Nebenpilotensitz Platz nehmen.  Bereit. Jan lässt sich aber noch einige Sekunden Zeit. Er zückt einen  quadratischen Taschenwecker, Modell locker 50 Jahre.  Die Aussenhülle aus champagnerfarbener Seide, goldene Zeiger. Er streckt ihn mir unter die Nase. Schau, ab jetzt 15 Minuten. Der Motor heult auf und zerfetzt meine Frage, wielange er das schon mache. Ein breites Grinsen; er hat mich verstanden . Und: „15 Jahre“,  dringt an mein Ohr. Offensichtlich macht es ihm Spass. Er brettert ab. Der Bug hebt sich. Wir schlagen platt auf die Hügel der Wogen. Die Armlehnen meines Sitzes werden zu willkommenen Verbündeten.  


Für den 90-Grad Abbieger reist Jan das Steuerrad nach links. Wir legen uns in die Kurve. Sekunden später kommt das Schiff vor der majestätischen SS Rotterdam zu liegen. Der ausgediente Cruiser existiert heute als Hotel, Gastro- und Event-Lokation weiter. „Take foto“ !!! „Ja gemacht!“. Jan gibt wieder Bleifuss. Er quert die Maas im Diagonalkurs. Mein Versuch, die harfenähnliche Erasmusbrücke, bildlich einzufangen scheitert kläglich. Es schaukelt, kippt und bumpt. Wahrscheinlich wäre jetzt die Taste für Sportaufnahmen gefragt gewesen.


Deshalb hole ich den Klick nachher an Land nach.  Aber ich will ja auch geniessen. So pretschen wir schliesslich noch in Richtung Brücke zum Mainporthotel. Da zeigt Jan, dass er auch ganz präzies und sachte unter dem Steinbogen durchnavigieren kann. Nun noch eine Spitzkehre. Angelegt am Steg meiner Bettstatt. Der Wecker feiert wieder seinen Auftritt: „15 Minuten 15 Sekunden. !! 30 € 50. !!“ Für ein Foto hat er noch einen Augenblick. 


Macht den Spassvogel für die Linse.  Und tschüss! Die Heckwelle legt sich weiss auf das Lackschwarz.

Ein letztes Rauschen. Weg ist er.

(Da ei sei noch nachgetragen, dass die Broschüre des Taxisunternehmens auch mit einer „Mysteytour“ wirbt. Man überlässt es dem Kapitän, was er zeigt und ansteuert. Sicher für Gruppen interessant).

Meine schwammigen Beine nebst rebellierenden Magen bringe ich auf einem kleinen Spaziergang noch etwas in Balance. Das Maritimmuseum ist gleich nebenan. Die alten Kräne stehen hier,

als in den dunkeln Nachthimmel hochstrebende, Zeitzeugen. Meine Kamera verliebt sich in dieses Rohe. 

Der Abend schliesst in Rot und Gelb. Dynamisch! 

„De Haven“ beginnt Geschichten zu erzählen.

Ich habe Lust auf MEER Rotterdam.


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Kommentare: 1
  • #1

    Maria (Freitag, 04 Mai 2018 17:15)

    Spannend, aber mit dem Speedy wäre ich komplett nacher platt gewesen und über der Reling gelegen!�