Sans Soucis?

Er kommt 15 Minuten zu spät, was eigentlich nicht die Art der Seychellois ist. Hubert.

Mein junger Fahrer für die Inselrundfahrt. „Traffic-Jam, Madame. So sorry!“

Ich glaube es ihm. Victoria, die kleinste Hauptstadt Afrikas kann wie eine ganz Grosse, wenn die Menschen zur Arbeit fahren; das habe ich bereits erfahren. Hubert präsentiert ein nigelnagelneues Auto, Kia, schwarz. Gehört natürlich der Firma, aber ein wenig stolz ist er trotzdem und daher nicht gerade hoch  begeistert (wenn auch nicht überrascht), dass ich die bekannte „Sans Soucis Route“durch den Morne Nationalpark befahren möchte. Diese gilt nämlich bei der Bevölkerung als gar nicht „Ohne-Sorgen-Strasse“. Zu viele Unfälle...kein Geländer auf der Seite... schmal ... unübersichtlich... „très dangerereux Madame“. 


Während den ersten Serpentinen durch die Anhöhen von Victoria gibt  es von Hubert didaktisch sinnvoll etwas Basics. Seychellen: 115 Inseln verteilt über !! 1000 km. 15 Eilande sind bewohnt.

Die grössten: Mahé mit der Hauptstadt, dann Praslin und la Digue, die beide innert 1 Stunde bzw. 1.5 Std per Schnellfähre zu erreichen sind.  

Die rund 91‘000 Staatsbürger bevölkern mehrheitlich diese 3 Inseln und sind stolz auf ihre Creolische Herkunft, ein Gemisch aus Afrika, Asien und Europa. Die Tatsache, dass man zuerst unter der Fuchtel Frankreichs stand und danach von den Briten übernommen wurde, schlägt sich auch in den gesprochenen Sprachen nieder. Muttersprache bildet das Créol, von dem ich immer meine, es zu verstehen. Aber es geht schwierig. Es ist ein französischer Dialekt mit afrikanischen Ausdrücken durchmischt. „Ähnlich wie in Mauritus und in der Karibik?“ hake ich nach? Hubert lächelt... leider verstehen wir uns nicht.“ Und überhaupt man gehöre ja zum Commonwealth.

Die Schule beginne mit 4 Jahren und focussiere in den ersten Jahren fast ausschliesslich auf Sprachunterricht, vornehmlich Englisch. Französisch werde so oder so verstanden, aber eigentlich selten gesprochen. Die übrigen Fächer, wie Geschichte, höhere Mathematik, Biologie etc. würden erst in der zweiten Hälfte der Schulzeit unterrichtet. Jeder könne versuchen, die Prüfung zur Universität zu bestehen. Wem dies gelinge, erhalte  ein Stipendium vom Staat und verpflichtete sich nach Abschluss des Studiums 5 Jahre für die Regierung zu arbeiten zu geringem Lohn, die Kosten wieder abzustotternd.

In der Zwischenzeit wähne ich mich schon im Dschungel. Herzblättrige Grünteppiche überklettern die prächtigsten Bäume. Vogelgezwitscher... „U like animals?“ „Ja... klar“. Also heisst  es austeigen. Ich sehe nur Stämme, Blätter... Hubert zeigt auf eine Stelle 50 cm über mir. Schluck!!! Sie ist schwarz und gelb gestreift... praktisch unsichtbar. Mit ihren 15-Zentimeter-Beinen hängt sie in ihrem kunstvoll gesponnenen Netz das silberseidig im schwach durchschimmernden Licht reflektiert. Sagenhaft, wie konnte Hubert sie von Auto aus erkennen?

Er lächelt verlegen. Sie sei ungiftig. „Willst du sie streicheln ?“ Gegen eine kleine Bestechung hätte ich es getan... ja wirklich... aber ich muss Lady Spider ja blogkonform vor die Linse bringen... und gebe mich sehr beschäftigt. 

Die Strasse windet sich höher und höher und irgendwann blinkt der Kia links ab. Mission-Station. 1842 sei der letzte Sklave auf die Seychellen gebracht worden. Hier an diesen traumhaften Aussichtpunkt hatten die Missionare eine kleine Schule errichtet und die Kinder der Sklaven unterrichtet. Traurige Geschichte... aber immerhin gab man hier etwas Bildung mit.  

Königin Viktoria soll übrigens an diesem Outlook persönlich ein Tässchen Tee genippt haben. „Tee“ das ist das Stichwort für Hubert. An den kühleren Abhängen werde eine Teeplantage betrieben, die den ganzen Eigenbedarf des Landes decke. Die Pflanzen wurden vor gut 100 Jahren aus Indien eingeführt. Black und Green...diese würden teilweise zu exotischen Mischungen verfeinert. Orange, Vanille, Citronelle. Jeden Monat finde eine Ernte statt, die nur mit den flinken Fingern von Frauen vonstatten gehen könne, welche die Zweigspitzen ernteten. 

Das kleine Fabriklein ist eine Art Wellblechhütte. Die Maschinen darin, könnten jedes Vintage -Teehaus schmücken. Langsam dreht sich das Schwungrad auf dem das Flies für die Teebeutel surrt. Dann klickt und knackt es, ein Greifarm kippt und wirft die fertig gefüllten Teebeutel im 10er-Pack aus. Natürlich möchte ich kaufen. Der Laden gähnend leer. Noch ein paar Päckli Vanille und Orangentee.. eine Box Black.. die letzte!! Ist der Tee ausgegangen? Nein, Hubert klärt auf... die ganze Fabrik werde modernisiert und renoviert „closed next 3 month“ (das heisst übersetzt: „bis auf Weiteres“). Sicher nötig aber auch schade. Wo werden die alten Maschinen landen?

Vielleicht als Dekoration im Craftsvillage ?

Ich bin etwas hin und hergerissen. Es soll einheimisches Kunsthandwerk geboten werden. Oder ist es tropo turistico?

Nun, meine Neugier ist stärker:

Mein Fazit positiv überrascht, wenn ich auch anfügen muss, dass gerade kein Kreuzfahrtschiff im Hafen liegt. 

Hubert findet es gut, dass ich die Einheimischen unterstützen möchte. 

Ja, die Inder in der Stadt würden zum volkswirtschaftlichen Problem. Sie hätten fast alle Läden aufgekauft, seien sehr geschäftstüchtig. Doch das verdiente Geld fliesse nach Indien und fehle der lokalen Ökonomie.


Im Dörflein angekommen, strecke ich meinen Kopf in dieses und jenes Atelier.

Hanna flechtet originelle Sonnenhüte aus Palmblättern und Fasern. 

Das kann Joel im anderen Hüttchen auch, aber er ist ein Multitalent. Er schnitzt Schalen in Fischform aus einheimischem Sandelholz.... 

produziert Seifen in Cocco de mer Form (ohne Fremdstoffe) aus Kokosöl und die duften... Zimt... Lichee... Maracuja....

Auch die Holzdamen, ein Duftsäcklein aus Kokosfasern auf dem Kopf tragend, finde ich gelungen. So kommen wir ins Geschäft. Ich solle ihm Zürich grüssen lassen (da war er schon einmal und seine Augen leuchten). 

Marina, im Häuschen auf der Gegenseite, war noch nie in der Schweiz, aber sie hat jetzt auch keine Zeit zum Reisen.  Sie hat gerade mächtig Stress. Bald beginnt das neue Schuljahr und die ausgebildete Schneiderin fertigt Schuluniformen für die Kinder. Gerade liegt ein grosser Ballen blauen Stoffes neben ihrer Nähmaschine. „Das gibt die Röcke; nachher habe ich enorm mit den weissen Blusen zu tun.“ Ein Set koste 120 Seychelles-Ruppien (12 Franken). 

Unter dem Jahr schneidert Marina Strandtücher oder Kleider mit bunten Mustern. Der Koralle-Fisch-Sarong in Pink! Du bist mein!!! 

Auf der Rückfahrt ziehe ich ein erstes Fazit. Seychellen...Land ohne Sorgen? Sauber, niedrige Kriminalität. Afrikaweit gesehen sicher ermutigend. Mir gehen nochmals die Gespräche durch den Kopf, die ich mit Taxifahrern, Angestellten geführt hatte. Die Regierung sei zu links. Die Steuern für die Einheimischen zu hoch. Das Wahlprozedere nicht über die letzten Zweifel erhaben, Drogen seien im Umlauf, Sensibilisierung gegen Korruption und für Umweltschutz sei notwendig. 


Dies ein paar unkommentierte Meinungen. 

Ich steuere nochmals Richtung Internetcafé Chatterbox. 

Samstag 21.00 Uhr. Die Mall ist praktisch leer. Doch woher die wunderschöne Pianomusik? 

Eine junge Dame sitzt neben einer Boutique an einem weissen Elektroklavier. Ihre Haut ist Porzellan und das schulterfreie weisse Kleid durchflockt mit grünen Blättern. Die rotblonden Haare streng nach hinten gezogen. Eine apricotbarbene Blüte im Haar. 

Sie spielt herrlich, beendet dann aber das Spiel und geht zurück zum Bistrotischchen. Kaum dort angekommen, hört sie ein paar einzelne Töne. Ein junger Seychellois ist an das Instrument herangetreten. T-Shirt, schlammrot, verwaschen, Bermudas. Er hat einen ca.  6 jährigen Jungen dabei. Die junge Russin springt auf, hastet zum Klavier. Es sieht aus, als wollte sie den neugierigen Jüngling abhalten. Dieser lächelt sanft und spielt ein Lied an....10 Sekunden... Samt und Seide. Sie ergibt sich, lässt ihn gewähren. 

Es sind diese ganz speziellen Momente, wofür man reisend unterwegs ist. Seine einfachen Havannas suchen die Pedale. Er streichelt die Tasten, schlägt an; das Instrument entlässt die Töne zart und raumgreifend zugleich, und sein zauberhaftes Spiel erfüllt die Halle. Die junge Dame daneben lauscht fasziniert. 

Das Lied: „Hello, is it me you’re looking for?“ Und ihre Augen verbandeln sich für einige Takte. Ein kleines Rendez-vous ihrer musikalischen Seelen.

 

Sans Soucis!


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