Parisio

Nach diesem Culturissima-Tag stelze ich etwas steiffüssig durch die Drehtüre unserer Herberge, und da der Lift heute ausnahmsweise zeitgerechte Kooperationsbereitschaft an den Tag legt, bin ich in Bälde reif für das Box-Spring, wenn von Draufspringen auch nicht mehr die Rede sein kann.  Eher Sinkflug. Mehr als ein Powernapping wird es allerdings nicht werden. 


Galaabend laut Programm. Ort geheim. "Wie ist das so mit dem Transport?" fragte ich Melanie... "Comprende: Schuhthema!" "No problem, der Bus kann ja an das Hotel heranfahren."


Na dann frech und fröhlich zur Aufhübschung. Nichts weniger als nach "Pink-meets-Black" steht mir der Sinn. 


Aber eigentlich hätte ich es beim kurzen Austausch mit Melanie merken müssen. Ich kenne das inzwischen, wenn sie beim Sprechen den Blick leicht seitlich ausweichend führt und der linke Mundwinkel gaaaanz minim zuckt! 


Punkt 19.00 Uhr treffen wir uns an der Rezeption. Jeder nach seinem Gusto. Bei den Frühwirt-Reisen gibt es keinen Dress-Code.

www.hltravel.ch.

Dass ich jeweils etwas experimentierfreudig bin, daran gewöhnen sich die Reisenden jeweils schnell, und die resultierenden Kommentare tragen meist herrlich zur humorvollen Stimmung bei. 


Nun geht es los. Nur ....wo ist der Bus? Weit und breit... Melanie?.... "ja er wartet weiter oben!" Was immer das heisst...... Bravo .....ich mit 7 cm Bleistiftmontur in Lackoptik. Ich bin gerade so richtig im Takt eingestöckelt, als es mir fast die Wimpern von den Lidern flattert. 

Chrom und Karrosserie in ihrer liebenwürdigsten Form. Der Malta Classic Carclub ist mit 8 edlen Oldtimern aufgefahren. Wir strahlen mit den polierten Stossstangen um die Wette.

Der Mintgüne aus den 30igern erobert mein kitschaffienes Herz im Sturm.  

Der schwarze Merz zelebriert pures Understatement 

und der Doge in Perlmuttweiss, gibt die perfekte Hochzeitskarosse. 

Wir sind aus dem Häuschen. Was für eine tolle Überraschung, Melanie!! Aber einsteigen wollen wir noch keineswegs, denn wir verfallen einer regelrechten Knipsomanie. 

Hier das Schwarzlackheck, 


Francesca mit Dodge, 


da das Lenkrad des Sunbeam 1959....

Stosstangen, Vorder-Ganz-

und Teilansichten. 

Das Geknatter der startenden Motoren fordert uns schliesslich auf, Platz zu nehmen. Es geht bergab zur Mole mit ausgeklügelter Stotterbremstechnik und von dort dem Lichtermeer der Hafenpromenade entlang;  schliesslich nach "Naxxar". 

Die Bauten strahlen in warmem Bernstein kontrastierend zum schwarzen Himmel. 


Der Corso steuert einen wunderschönen Palast an. Durch das Tor glitzert ein Kronleuchter. Das Gefährt hält. Die Türe des Vintageautos öffnet sich.... ahh wie in der Parfümwerbung letzthin am Fernsehen, als das feurige Model sich lasziv aus dem Lederpolster kurvte und die netzbestrumpfen Unendlich-Beine auf den Asphalt schwang. Ich gab alles. Falls das nicht ganz gelungen sein sollte.... nur Richard Frühwirt hat es gesehen, denn er reicht jeder Dame zum Ausstieg galant die Hand... Willkommen im "Palazzo Parisio". 

Fast ehrfürchtig schreite ich in das illumiminiete Entrée. Ich fühle mich unter all den Freskos und Gemälden wie Principessa Dulcinetta. Nur für einen Moment, aber sind es nicht gerade diese, in denen unsere Fantasie den ewig vorrückenden Zeiger stoppt, auf dass wir dieses Gefühl als Souvenir verinnerlichen können? 

Ganz auf den Boden der Realität muss ich auch noch nicht zurück, denn neben dem, mit hochstieligen Gladiolen geschmückten, Flügel 

wartet "Cinderella Melanie". Sie versprüht ihr herzliches Lachen. Ihre Surprise ist voll gelungen. Wir sind entzückt. 

Während wir noch staunen, erfahren wir, dass der Palast von einem Mutter-Tochter-Team aus seinem verstaubten Dornröschenschlaf erlöst wurde. Ihre Vorfahren kauften das Haus von einer Sizilianischen Familie "Parisio" und bitte jetzt keine Nebengedanken! 


Die Baronessen haben ganz detailverliebt  ihr ganzes Herzblut in das Projekt gesteckt. Heute ist wieder Leben und Lachen eingezogen. Im grossen Ballsaal hat sich schon manches Paar in die Hochzeitsnacht getanzt. Wir werden in einem Chamber Séparée speisen und auch Individualgäste können sich einen Tisch im Restaurant reservieren. Vielleicht im lauschigen Garten? 

Da warten nämlich bereits die mit weissem Sakko und schwarzer Fliege eingekleideten Kellner. Der Edelsaft schäumt sich in die Kelche.

Im Honigschein klingen die Gläser: La vie est belle! Der perfekte Augenblick für Bernhard, den mitreisenden Fotografen, der uns zum Gruppenfoto zusammendrapiert. Uns ist nach Dauerlächeln. Unbeschwert. Fröhlich. Unter Freunden. 


Auch ich zücke meinen Apparat. Bitte Richard und Veronika. Ihr seid immer fleissig im Hintergrund. Ein Bild im romantischen Setting nebst Bougainvilla. 


Derweil ist der Maitre de Service schon tüchtig am Rotieren, während wir noch nichtsahnend Häppchen vom Silbertablett schmausen. Er scheint nervös. Ob Melanie in der Vorbesprechung wieder mal Dampf gemacht hat oder sind wir Statisten in einem neuen maltesischen Weltrekordversuch? Thuna in Kruste aus Fleur de sel oder Filet?



Die Mehrzahl wählt das Zweite, und ich denke, wegen Fleisch muss niemand mehr von uns nach Argentinien fliegen. Was da im mise en place präsentiert wird, katapultiert uns Weitgereiste beinahe von den Brokatsesseln. 

Während ich die exzellenten mürbzarten Trachen des krustigbebröselten Fisches zwischen Gaumen und Zunge zerdrücke,

beobachte ich bei den Nachbartellern die diversen taktischen Annäherungen an das Zauberfleisch. 

Flott einmal durch die Mitte, um sich dort an den mediumrare Partien gütlich zu tun.


Von der Spitze aus tranchierend, dies 3 Mal wiederholend, konstatierend, dass immer noch rund 300 Gramm auf dem Porzellanteller liegen.


Schräg gegenfaserig absäbelnd, die mundgerechten Kuben in Sauce Béarnaise badend. 


Oder mit der verbalen Eliminationsmethode mich fragend, ob ich nicht probieren möchte. 


Wie auch immer: Die fleischlich-fantastische Lust endet auf jeder Platte mit der

Kapitulation am "Mount Flett" (Flett= Filet auf Maltesisch). 


Das ist der ideale Zeitpunkt für einen Digestif. Ich habe extra für den Abschlussabend einen Etter Jahrgangskirsch 2009 mitgebracht. Diesem wird in herzlicher Runde tüchtig und wortreich zugesprochen. 

Irgend einmal zu später Stunde blasen die Nymphen des Deckengewölbes  mit ihren Schallmeien zum Aufbruch. Ich schwebe ein letztes Mal über den champagnerfarbenen Terrazzoboden. 

Der Kristalleuchter schenkt mir noch ein silberblaues Blinken. Das schwere Tor des Palazzos Parisio schliesst sich in meinem Rücken. 

Paradisisch Parisio!


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